Reisemotivationen: Trendumkehr steht vor der Tür

Kommunikationswissenschaftler Prof. Peter Vitouch im Gespräch über Instagram-Fetischisten und digitale Öko-Terroristen.
© privat

Der Kommunikationswissenschaftler Prof. Peter Vitouch sprach mit FaktuM über die tatsächliche Dimension des Reise-Shamings, die Jagd nach dem perfekten Selfie und den Verlust der Privatsphäre. Eine Trendumkehr stehe vor der Tür, meint der Forscher, und alles sei viel weniger dramatisch als angenommen: Die Instagram-Fetischisten und digitalen Öko-Terroristen sind in der Minderheit.

FaktuM: Spielt die Selbstdarstellung am Urlaubsort – Stichwort „Instagrammability“ – eine große Rolle bei der Wahl des Reiseziels?

Peter Vitouch: Nein. Ein Aspekt ist, dass die Menschen wieder draufkommen, dass Privatheit ein gewisses Gut ist und dass es nicht angenehm ist oder sogar unangenehm werden kann, wenn durch Urlaubs- oder Familienfotos das gesamte Netz über einen Bescheid weiß. Es gibt einen gewissen Rückzug in die Privatheit. Auch junge Menschen beginnen darüber nachzudenken. Der ganz große Hype, dass ich mein Mittagessen ins Netz stelle, wird aufhören. Der andere Aspekt ist, dass es immer mehr moralische Zwänge gibt, wie man sich denn wirklich zu verhalten habe. Eine Zeit lang war Protzen an der Tagesordnung. Je weiter man weggeflogen ist, je toller der Urlaub war, umso besser. Alles wurde ins Netz gestellt. Da kommt jetzt in einer gewissen Bevölkerungsschicht die Reflexion dazu: Möglicherweise wird mir das schlecht angerechnet, vor allem von jenen, die nicht den tollen Sonnenuntergang in Tansania erleben. Die können nicht sagen, dass sie neidig sind. Jetzt sagt man: Pfui, wie kannst du das unserem Planeten antun?

FaktuM: Woher kommt der Trend zum Striptease in den sozialen Netzwerken?

Vitouch: Das hat es eigentlich schon immer gegeben. Früher wurden die Urlaube vom Großvater mit dem Fotoapparat dokumentiert, was alle gehasst haben. Daheim gab es dann die Dia-Abende, eine Zwangsbeglückung, die auch alle gehasst haben. Ähnlich wie bei Jugendlichen, die Selfies bis zum Gehtnichtmehr machten und sie ins Netz gestellt haben. Das beginnen nun auch alle zu hassen. Das ist im Grunde wie ein permanenter Dia-Abend. Eine Zeit lang war das en vogue, weil es neu war. Daher kam der Hype. Man hat alles, was möglich ist, rausschickt – um damit, wie man kurzfristig glaubte, alle anderen glücklich zu machen.

FaktuM: Ist ein Ende des Social Media-Wahnsinns in Sicht?

Vitouch: Ganz klar ist, dass das nicht aufhören wird, aber es wird Überlegungen geben. Zeige ich die Lodge in Tansania oder behaupte ich lieber, die Bräune stamme vom Balkon? Sonst muss man sich vielleicht sagen lassen, dass man der ärgste Klima-Sünder überhaupt ist und man den Planeten zugrunde richtet.

FaktuM: Dürfen sich Promis, Politiker und Influencer beschweren, wenn sie ungewollt fotografiert werden und das Ergebnis ins Netz gestellt wird?

Vitouch: Heute ist das nicht mehr vermeidbar, jeder hat das Handy einstecken. Früher hätte man sich lächerlich gemacht, wäre man ständig mit einem umgehängten Fotoapparat unterwegs gewesen. Heute wird mit dem Handy fotografiert, wenn man etwas Interessantes sieht, und es wird ins Netz gestellt. Dadurch ist klar, dass Prominente und Politiker kein Privatleben mehr haben. Außer in den eigenen vier Wänden.

FaktuM: Haben Promis das Recht auf Privatsphäre de facto verloren?

Vitouch: Ja. Wenn man die Frau Rendi-Wagner im Club fotografiert, wird sie vor Gericht nicht sagen können, dass das eine private Angelegenheit sei. Der Terminus ist: Es ist von allgemeinem Interesse, wie die Frau Rendi-Wagner ihre Freizeit verbringt. Dann darf man das auch veröffentlichen.

FaktuM: Ist es also unvermeidbar, dass das Privatleben in die Öffentlichkeit gezerrt wird?

Vitouch: Ja. Das sieht man auch daran, welche Typen heute Politiker geworden sind. Das sind die Narzissten, die in die Öffentlichkeit drängen und sich ständig darstellen wollen. Die sehen das nicht als Bedrohung oder als Defizit, sondern die leben so. Mit der Zeit werden das auch die einzigen sein, die das aushalten, also Leute wie Trump oder Johnson. Ob das für die Entwicklung der Politik und der Demokratie gut ist, ist fraglich. Denn denen geht es um die Selbstdarstellung und nicht um politische Ziele. 

FaktuM: Wird Flight- und Reise-Shaming zum Zukunftstrend?

Vitouch: Das ist ein aktueller Trend, der sich zu einer Blase ausweiten wird. Sollte es zu einer Kerosinsteuer oder einer CO2-Steuer kommen, wird Fliegen teuer oder sehr teuer werden, und es werden immer weniger Leute machen. Dann kehrt sich das um und Reisen wird zum Statussymbol. 

FaktuM: Ist die ökologische Neutralisierung einer Fernreise reiner Ablasshandel?

Vitouch: Das ist nicht die Lösung unserer Probleme. Die Lösung liegt nicht in der Aktivität einzelner Personen, sondern im Großen. Meine große Sorge ist, dass man damit die Jugend einfängt, die nur noch Klima-Demonstrationen und so etwas im Sinn hat. Dabei fällt es nicht auf, wie sie, als Mittelstand, von den reichen Konzernen ausgebeutet werden. Die Konzerne könnten wirklich etwas gegen die Klimaerwärmung tun. Statt zu demonstrieren, damit die gesellschaftlichen Ungleichheiten und sich die immer mehr in Schieflage geratene Situation verändert, demonstrieren sie für das Klima und fühlen sich dabei wohl. Das ist wie im Kommunismus: die Beschäftigung der nützlichen Idioten.

Das Interview führte Alexander Haide

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