Zukunfts-Ängste

Die Tourismusbranche beutelt es aktuell - angesichts der allgegenwärtigen Klimadebatte - anständig.
© privat

Wenn auf WDR das flotte Liedlein „Unsere Oma ist ne alte Umweltsau“ läuft, dann fährt die natürlich auch mit dem Kreuzfahrtschiff. Und trotz der Entschuldigung des Verantwortlichen Tom Buhrow, WDR-Intendant, für die Entgleisung nach einem entsprechenden Shitstorm: Solche Dinge graben sich immer tiefer in unsere Gehirne ein. Derf ma des? Soll ma des noch machen? Sind wir Schweine, wenn wir reisen? 

Ich glaube, es kommt immer auf das Maß, das Ziel, die Frequenz und die eigene Einstellung an, wie man seine Urlaube anlegt. Was mir ganz besonders auf die Nerven geht, sind die Heuchler. Es ist Heuchelei (obwohl ich höchsten Respekt vor dieser jungen Dame habe), wenn das Marketingprodukt Greta mit dem Segler nach New York düst. Aber dann sechs Begleitleute und das Kamerateam mit dem Düsenjet zurückfliegen müssen. Für mich ist es auch Heuchelei, wenn sogenannte „Grüne“ auf die Malediven jetten. Und von der Freundesrunde im 7. Yuppie-Bezirk danach zur Rede gestellt sich wie folgt verteidigen: „Aber ich spende doch eh den Wert des ökologischen Fußabdrucks, den ich hinterlasse, an eine Grün-Organisation.“ Das kommt mir so vor, als wenn jemand so argumentieren würde: „Ich schlag zwar meine Frau. Aber regt’s euch nicht auf. Ich zahl ihr eh den Arzt.“

Am ärmsten in Zukunft dran wird wohl eine Branche sein, die ein gigantisches Vermögen in den letzten Jahren ins Geschäft gebuttert hat. 10,3 Milliarden Dollar wurden 2019 von der Kreuzfahrt-Industrie investiert. Eine gewaltige Steigerung gegenüber den 8,6 Milliarden aus dem Jahr 2018. Die Branche erlebte einen fantastischen Boom. So stieg die Zahl der Kreuzfahrer vom Jahr 2009 mit 17,8 Millionen bis zum Jahr 2019 auf 30 Millionen Passagiere. Trotzdem: Diese Branche wird es garantiert am meisten beuteln. Denn mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass da unglaubliche Energiefresser und Umweltverschmutzer die Weltmeere durchpflügen. So braucht ein großes Kreuzfahrtschiff wie die „Harmony of the Seas“ mindestens 150 Tonnen Schweröl pro Tag. Ein Passagier soll fast 400 Liter Wasser verbrauchen und bis zu drei Kilo Abfall täglich verursachen …

Dazu kommt noch ein anderes Problem: Die Bilder, durch die wir die Wandlung von Kreuzfahrtschiffen zu schwimmenden Gefängnissen angesichts der Corona-Seuche mitbekamen, verstärken bei potenziellen Urlaubern die Lust, jetzt eine Reise zu buchen, nicht wirklich. Ich habe das einmal am eigenen Leib verspürt: In Hongkong eine Kirsche gegessen, Durchfall bekommen, dem Schiffsarzt dumm und ehrlich die Wahrheit erzählt – vier Tage in Einzelhaft in der Kabine mit einem Bewacher vor der Türe. Nach solch einem Erlebnis buchst du lange keine Kreuzfahrt mehr.

Die Verantwortlichen der Kreuzfahrtindustrie haben freilich zusätzlich noch einen schweren Fehler begangen. Und eine Sache völlig falsch eingeschätzt: Man hätte sich bloß zusammensetzen müssen, um gemeinsam ein PR-Paket zu entwickeln. Um für jenen Zeitpunkt, als die Fridays for Future-Bewegung hochschwappte, gerüstet zu sein. Und sich als umweltfreundlich, grün und zukunftsträchtig zu präsentieren. Es hätte alles in der Macht Stehende getan werden müssen, um aus der Bredouille herauszukommen. Stattdessen hat man die Weltöffentlichkeit und die Medien provoziert. Und zwar vor allem in einem Punkt, den ich als den Negativ-Wendepunkt der Kreuzfahrtindustrie bezeichnen möchte: Ich spreche von Venedig. Die Kreuzfahrtindustrie hat – statt das einzig Richtige zu tun und sofort bekanntzugeben, dass man den Canal Grande nicht mehr anfahren wird – aus reiner Profitgier und sensationsgeilem „Wir müssen ja den Gästen etwas bieten“ weiterhin die Lagunenstadt angefahren. 

Die Videobilder eines Mega-Schiffs, das ein Touristenschiff rammte, gingen um den Globus. Die Proteste der Venezianer haben ein weltweites Medienecho hervorgerufen. Da hat die Kreuzfahrtindustrie die entscheidende Chance versäumt. Da hätte man noch die Möglichkeit gehabt, sich  grün, sauber, elegant, fortschrittlich – oder nennen wir’s einsichtig – darzustellen. Diese Chance ist vertan. Endgültig.

Herzlichst Ihr

Christian W. Mucha

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