Reisereport: Ich war noch niemals so enttäuscht
Wer heute verreist, landet oft nicht in der Traumdestination – sondern in der harten Wirklichkeit der Sozialen Medien.

„Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii…“ – Udo Jürgens hat einer Generation die Reiselust in Melodie gegossen. Wer will da nicht losziehen, den Koffer packen und alles hinter sich lassen – auf zu den großen Städten der Welt, dorthin, wo das wahre Leben stattfindet? Doch was als Verheißung beginnt, endet nicht selten als trotzige TikTok-Abrechnung, wutentbrannter Facebook-Kommentar oder Instagram-Posting mit der Frage: „Welche Stadt hat dich am meisten enttäuscht?“
Zwischen Filter und Fakten
Früher reisten Reporter mit Notizblock, heute reicht ein Selfie-Stick. Während klassische Journalisten mit kritischem Blick berichteten, reichen vielen Influencern schon Gratisnächte im Hotel und eine Schale Obst am Zimmer. Ihre Reiseberichte bestehen aus perfekt inszenierten Momenten – gefiltert, kuratiert, kompatibel mit dem Corporate Design der Tourismuswerbung.
Kritik? Fehlanzeige. Dafür gibt’s Reichweite. Und Aufmerksamkeit, die den professionellen Berichterstattern zunehmend abhandenkommt.
Glanz und Elend der Metropolen
Auch die Seite Bin mit dabei! kennt keine Scheu vor sentimentalen Tabubrüchen. Da darf es auch mal persönlich, gemein oder einfach nur gnadenlos ehrlich werden. Und siehe da – es sind nicht etwa Provinznester, die dort abgewatscht werden, sondern Weltstädte mit klingenden Namen:
- Paris? Voll, laut, unfreundlich. Die Stadt der Liebe mutiert für viele zur Stadt des Frusts.
- New York im August? Eine stickige, glühende Betonwüste voller Müllberge und erschöpfter Touristen.
- San Francisco? Wer Haight-Ashbury aus der Hippiezeit sucht, findet heute nur noch Souvenirshops, in denen das Lebensgefühl der 60er-Jahre als Verkaufsware überlebt.
Selbst das toleranzverwöhnte Berlin muss sich einiges anhören: „So vollgeschmiert hätte ich mir das nicht vorgestellt“, schreibt eine enttäuschte Stimme über die allgegenwärtige Graffiti-Kunst. Eine andere kann der weltberühmten Currywurst nichts abgewinnen – inklusive Fotobeweis einer gehäuteten Knackwurst, die in blutroter Ketchup-Lake ertrinkt.
Zu spät, zur falschen Zeit
Oft sind es nicht die Orte selbst, die versagen – sondern die hohe Erwartungshaltung, mit der man sie betritt. Wer nach Bali reist und meint, dort ein spirituelles Erwachen zu erleben, landet in einer Massagestraße mit Neonlichtern. Wer vom Glanz Roms träumt, wird von der Sommerhitze und den Menschenmassen auf dem Trottoir der Via del Corso wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.
Und dann ist da noch die Zeitreise im Kopf: Man will Woodstock spüren und steht auf einem Parkplatz. Man sucht die Swinging Sixties in London, findet aber nur Touristenläden mit billigem Ramsch auf der Carnaby Street. Der Fehler? Die Erwartungen kamen im Koffer mit – und wurden von den Grenzbeamten nicht an der Einreise gehindert.
Zur falschen Zeit, am falschen Ort – you’re out of touch, my baby, sangen schon die Stones.
Glasperlen im Paradies
Besonders bitter wird es für jene, die sich ein Ticket ins Paradies leisten – und dort dann wie Zaungäste herumstehen. Monaco, Genf, Dubai: Namen, die nach Champagner klingen, aber für viele am Ende nur nach Sodawasser schmecken. Da wird das ganze Urlaubsbudget in den Flug gesteckt, für die Hotelnächte wird schon auf Booking.com gefeilscht.
Wem das nötige Kleingeld fehlt, um exklusive Orte stilecht zu bereisen, es aber dennoch tut, äußert seine Enttäuschung nicht selten mit erstaunlich viel Witz – und einer Prise Selbstironie. Da wird der Ausblick auf den Yachthafen von Monaco fotografiert, während man selbst auf einem Betonpoller sitzt und ein vertrocknetes Sandwich aus dem Duty-Free kaut. In Genf posiert man vor einer Nobelboutique – in Flip-Flops, mit leerem Shoppingbeutel und dem Kommentar: „War wohl grad alles ausverkauft.“ Und in Dubai zeigt das Instagram-Reel nicht die Skybar im Burj Khalifa, sondern den Blick darauf – von ganz unten.
Das digitale Klagelied der Reisenden
Gerade in sozialen Netzwerken wird deutlich: Das Enttäuschtsein ist längst ein Community-Gefühl. Man lacht gemeinsam, giftet sich durch Städte und Erfahrungen und entdeckt im kollektiven Sudern eine neue Form von Reiseberichterstattung. Da wird aus dem Frust über eine geplatzte Romantik schnell eine Mini-Stand-up-Nummer über Hotelduschen mit Schimmelbefall oder Espresso um sieben Euro – lauwarm serviert, aber mit Ausblick.

Und manchmal ist das sogar lehrreich – wenn nicht heilsam. Denn inmitten all der überzuckerten Influencer-Fantasien auf Instagram und TikTok wirken diese enttäuschten Gästeberichte fast wie eine Rückeroberung der Wirklichkeit.
(red)