Das Phantom des Negresco

Erinnern Sie sich an Samuel Becketts „Warten auf Godot“? Das Stück endet frustrierend: Denn Godot taucht niemals auf.
©Archiv

Dieses FaktuM erscheint unter erschwerten Bedingungen. Jene, die mir via soziale Medien folgen, wissen, dass ich momentan extrem eingedeckt bin. Und aus meinem 66 Jahre alten Körper noch ein letztes Mal das Maximum an Leistung herauszupressen versuche: Wer gleichzeitig einen Bestseller schreibt, eine Mega-Baustelle in Nizza leitet und so ganz nebenbei ein Medien-Unternehmen, das großteils auf Tourismus basiert, aus einer Pandemie herausführt, der steht gewaltig unter Strom.Da werden dann die Nächte kurz.

Wenn unser Buch „Wie man unverschämt reich und berühmt wird“ promotet werden soll (mein Co-Autor Robert Sommer und ich haben bis dato mehr als 50 Interviews gegeben), dann wäre das in normalen Zeiten schon ein Fulltime-Job. Wenn auf der Baustelle alle vier Abwassergentzen aus dem Jahr 1913 unerwarteterweise Brüche und Risse aufweisen und die Baustelle zum Alptraum mutiert, dann wäre das die zweite Vollbeschäftigung.

Für meine Zeitschriften bleiben dann noch die Nächte. Und die Wochenenden. Das war’s dann mit dem Urlaub 2021 Aber bevor SieI hr Mitleid an mich vergeuden (bitte sparen Sie das für jene, die es wahrhaftig brauchen), darf ich Ihnen von einem äußerst amüsanten Erlebnis in meiner zweiten Heimatstadt Nizza erzählen: Für mein Projekt an der Côte d‘Azur habe ich mir etwas ganz Besonderes vorgenommen: Als Paar, das quasi ein „öffentliches Leben“ führt, haben Ekaterina und ich keine Scheu, unser Bauprojekt in Nizza – ein Apartment, das direkt neben dem berühmten Hotel Negresco im Palais Marie Reine situiert ist – in den Medien zu featuren. Da uns Dutzende Unternehmen dabei unterstützen, uns mit ihren Dienstleistungen und Waren freundschaftlich zur Hand gehen, haben wir geplant, im Spätherbst eine Reise als Dankeschön für unsere Unterstützer einerseits und als Zuckerln für diverse Medien zu veranstalten. Ein Flieger von Austrian ist gebongt, unzählige Journalisten freuen sich darauf, in Wort und Bild zeigen zu dürfen, wie dieses historische Juwel vor der Renovierung ausgesehen hat und was Ekaterina und ich mit vielen Helferlein daraus gezaubert haben. Eines kann ich jetzt schon verraten: Das Ganze soll mein Meisterwerk werden. State of the art. Alles auf höchstem technischem Stand unter Beibehaltung der historischen Substanz. Wo also sollte man den Empfang machen, wo unsere Gäste aus Medien und Wirtschaft unterbringen, wenn nicht in unserem Nachbarhaus, im weltberühmten Hotel Negresco. Schon im Februar machte ich mich schlau und versuchte, dort jemanden Verantwortlichen zu erreichen. Keine Chance. Lockdown.

Als das Hotel dann im April – endlich – aufsperrte, intensivierte ich meine Bemühungen. Alle Negresco-Telefonistinnen sind freundlich. Das liegt denen im Blut. Also packte ich mein bestes Französisch aus (das ist jenes, bei dem man mir 25% Rabatt gibt, wenn ich dann besser doch auf Englisch im Restaurant bestelle) und erklärte der Holden, wer ich bin: „Wir machen eine Reisezeitschrift. Eine Hotel- und Gastronomie-Zeitschrift. Und die Luxuszeitung Elite. Und – ich würde gerne mit dem Herrn Generaldirektor sprechen.“ Langes Warten. Keine Antwort. Null Chance. Zwei Tage später: mein nächster Versuch. Mittlerweile mache ich „die größte Reisezeitschrift im deutschsprachigen Raum…“, verbreitere ich mein Standing gegenüber der übergeordneten Maid im Negresco-Kommunikationszentrum. „Kann ich bitte Ihren Generaldirektor sprechen?“ Zwölf Minuten in der Warteschleife. Dann das enervierende französische Besetzt- Zeichen. Wieder gescheitert.

Du musst dort hin. Persönlich. Ausgestattet mit Maske, gehe ich über die Straße zur Rezeption. Die beiden einigermaßen lächerlich adjus- tierten Lakaien (in Frankreich gilt das nicht als lächerlich, sondern ist dort gepflegte Tradition) geleiten mich mit gesetzten Schritten zum Empfang. Wo ein graumelierter Herr meine Visitenkarte entgegennimmt. Auf seiner steht irgendwas von Assistenz-Rezeption. Ziemlich patzig. Natürlich auf Französisch. Meine Visitenkarte übernimmt er im japanischen Brauch. Verwendet vier Finger. Spreizt die kleinen ab. Verbeugt sich artig. Und verspricht mir auf sein Wort, dass mich der Generaldirektor umgehend zurückrufen wird. Die nächsten zehn Tage passiert gar nichts. Langsam fühle ich mich als Teil einer Kishon-Satire. Doch dann lerne ich über Vermittlung Sami E. kennen. Der Mann ist eine Legende. Zumindest in Nizza. Ein Hansdampf in allen Gassen. Jeder kennt Sami. Sami kennt jeden. Sami verspricht bei einem gemeinsamen Essen (146 Euro), mein Problem unverzüglich zu lösen. Ich zahle. Schon wenige Wochen später habe ich einen Termin beim Präsidenten des Tourismusvereins Nizza. In dessen – ziemlich baufälligem – Büro neben dem Rathaus von Nizza werde ich freundlich empfangen. „Monsieur Lionel Servant“ (so heißt der Negresco-Generaldirektor) „wird Sie umgehend rückrufen“, verspricht mir der freundliche Präsident. Von wegen. Mein Handy bleibt stumm. Zweieinhalb Wochen später lade ich Sami erneut zum Essen ein. Er sagt zu, dass mich der Negresco-Manager gleich am nächsten Tag zurückrufen würde, und ich berappe die 180-Euro-Rechnung im von ihm ausgewählten Luxus-Fischrestaurant.

Schon am nächsten Tag ruft mich Sami an und schlägt mir vor, in seiner Zeitschrift (offenkundig lebt der Mann davon) zu inserieren – um läppische 8.000 Euro. Gleich, nachdem das erfolgt sei, könne er mir garantieren, dass ich einen Rückruf erhalte. Auch der Tourismuspräsident, den ich mehrmals gemeinsam mit Sami anrufe, betont immer wieder, er habe meine Visitenkarte bereits ins Negresco geschickt. Es sei nur eine Frage von Stunden, ja Minuten, bis ich den ersehnten Anruf erhalten würde.

Kaum habe ich das Inserat abgelehnt, blockiert mich Sami auf seinem Handy. Die Telefonnummer des Tourismuspräsidenten habe ich leider verschmissen. Schade, dass den im Rathaus keiner kennt und dass mir niemand eine Durchwahlklappe oder gar seine Handynummer verrät.

Doch mittlerweile hat auch das Restaurant im Negresco geöffnet. Also gehe ich dort hin. Speise vorzüglich. Den Generaldirektor habe ich zwischenzeitlich gegoogelt und würde ihn – aufgrund der mehrmals täglichen Betrachtung seines Konterfeis – in jeder U-Bahn-Station auch bei Stromausfall auf 25 Meter Distanz um vier Uhr früh erkennen. Und wer steht da – just während ich meinen Kaffee und den Digestif schlürfe – beim Eingang und parliert 20 Minuten lang angeregt mit einem schlecht gekleideten französischen Ehepaar, das seine Absicht bekundet, eventuell im März 2024 den 60. Geburtstag von Onkel Louis De Funès im Haus an der Promenade des Anglais zu begehen? Ich fasse es nicht. Da steht er: der Generaldirektor (!!!). Leibhaftig. In voller Größe. Das ist meine Chance. Meine einzige. Die muss ich nutzen.

Obwohl ich schon im Begriff bin, das Restaurant zu verlassen, setze ich mich an einen Katzentisch neben den Eingang, rauche gefühlte 12 Zigaretten und warte genau auf jene Zehntelsekunde, als der Generaldirektor sein Gespräch mit den Franko-Pensionären abgeschlossen hat. Just in der Sekunde hechte ich in seine Richtung, blockiere ihn beim Weggehen und rede ihn an. „Comment allez vous, Monsieur le Directeur Général. Mon nom est Christian Mucha. Je suis le president des Publications Mucha.“ „Ich habe keine Zeit“, faucht der Mann, „ich muss sofort in eine Besprechung.“ „Monsieur“, kontinuiere ich in meinem allerbesten Französisch, „ich versuche schon seit Langem, Sie zu erreichen. Viele Freunde haben meine Visitenkarte bereits an Sie weitergeleitet. Seit Wochen. Ich habe ein lukratives Angebot für Sie. Ich bringe Ihnen Gäste. Wir möchten einen Empfang machen. Ich mache internationale Werbung für Sie. Und – wir werden zahlen.“ Seine kurze, knappe, auf mich förmlich hingeschleuderte Antwort trifft mich ins tiefste Mark. „Was soll uns das bringen?“, ist der einzige Satz, den der Chef des weltberühmten Hauses für mich übrig hat. Ich weiß: Jetzt hast du vielleicht noch 27 Sekunden Zeit, ihm zu erklären, dass ihm das wahrhaftig etwas bringt. Also rede ich um mein Leben. Und – sein Gesichtsausdruck verändert sich leicht. Er verspricht einen Rückruf. Einen Termin in der folgenden Woche. Doch ein hässliches Blitzen in seinen Augen verrät mir, dass das nicht der Fall sein mag.

Ich habe mit Gorbatschow gesprochen. Wurde Sharon Stone und Elton John vorgestellt. Habe mit Jean-Paul Belmondo zu Mittag gegessen. Ich habe die Eigentümer der größten Hotelketten der Welt persönlich treffen dürfen. Zum Beispiel Lord Charles Forte, den legendären Eigner der THF-Gruppe. Anno dazumal die Nummer eins der Welt mit über 1000 Hotels. Ich war – als persönlicher Gast – in seinen Privatgemächern im fashionablen Londoner Grosvenor House willkommen. Doch dieses Mal, so schießt es mir ein, bist du gescheitert. Das erste Mal in deinem Leben.Wenn ich einmal von meinen beiden ersten Ehen absehe.

Mir wurde klar: Vor mir steht das Phantom des Negresco. Den Mann kriegst du wohl nie wieder zu Gesicht. Und dann plötzlich der Knaller: In der Woche darauf, am Freitag um 16:30 Uhr. Servant ist am Apparant. Ich fasse es nicht. „Wir können uns ein Rendesvous ausmachen. Für nächste Woche. Dienstag. 16 Uhr. An der Bar des Negresco.“ Mein Glücksgefühl in diesem Moment ist schier unbeschreiblich. Es kann nur annähernd beschrieben werden wie jener Moment, als Schliemann den Schatz von Troja entdeckte, Cullinan den größten Diamanten der Welt fand und Kennedy zum ersten Mal zu Marilyn Monroe ins Bett stieg. Es ist das Wunder der Côte d‘Azur. Der Negresco-Generaldirektor hat mich zur Kenntnis genommen. Er existiert. Und – wir haben uns persönlich getroffen. Unser Gespräch verlief dann durchaus amikal (Servant hatte mich mittlerweile gegoogelt), und ich sehe eine gewisse Chance, dass der Empfang im Negresco vielleicht doch stattfinden wird.

Und Sie, geschätzte LeserInnen, wissen jetzt eines: Die Steigerung von „schwierig“ lautet auf Französisch „Servant“.
Herzlichst

Ihr

Christian W. Mucha

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