Ischgl will sich im Sommer “verdoppeln”, Winter auf Vor-Corona-Niveau

800.000 Sommernächtigungen als Ziel - Winter Potenzial laut Seilbahn-Vorständen "ziemlich ausgeschöpft"
©unsplash

Der Tiroler Wintersporthotspot Ischgl nimmt den Sommer in Angriff. Man wolle sich zu einer “Zehn-Monats-Destination” entwickeln und peile an, in den kommenden zehn Jahren die Anzahl der Sommer-Nächtigungen von derzeit 400.000 auf 800.000 zu verdoppeln, sagten die Vorstände der Silvrettaseilbahn AG, Markus Walser und Günther Zangerl, im APA-Interview. Das Winter-Potenzial sei indes “ziemlich ausgeschöpft”, heuer lag man mit 1,92 Mio. Lift-Ersteintritten auf Vor-Corona-Niveau.

Im Durchschnitt der Jahre vor der Corona-Pandemie waren es noch knapp über 2 Mio. Ersteintritte gewesen. Analog dazu verhalte es sich mit den Nächtigungen. “Wir knüpfen an unsere besten Saisonen an”, erklärte die beiden Vorstände, deren Unternehmen in Ischgl bzw. dem Paznauntal sowie dem angrenzenden Schweizerischen Samnaun 45 Lift- und Seilbahnanlagen betreibt. In Sachen Umsatz habe man in der Wintersaison 2022/2023, die erst Ende April mit dem Konzert von Eros Ramazotti endete, mit 90 Mio. Euro gar einen neuen Rekord eingefahren.

Und trotzdem sei im Winter eine “natürliche Grenze” erreicht, könne es ein “Immer Mehr” nicht geben, erklärte Zangerl: “Es ist immens schwierig, immer noch eins draufzulegen.” Vorstandskollege Walser stieß ins selbe Horn: “Ein Plus von zehn Prozent bei der Gästeanzahl wird es nicht mehr geben. Man kann nicht das Doppelte an Leuten an einem Wochenende ins Tal bringen. Wir haben nur eine Straße, die reinführt.” Und schließlich gelte es auch im Tourismus, dem gesellschaftlichen (Klima)-Wandel Rechnung zu tragen.

Hier komme der Sommer und Ischgl als künftige Ganzjahres-Destination ins Spiel. Ein Ziel, auf das man noch stärker hinarbeiten wolle. “Wir sehen Chancen für den Sommer. Und wollen nicht, dass die Hotels sieben Monate im Jahr die Rollläden runterlassen und die Orte zu Geisterdörfern werden”, so Vorstand Walser. Eine Verdoppelung der Sommer-Nächtigungen von 400.000 auf 800.000 sei ein ehrgeiziges Ziel, es zu erreichen wäre ein “Riesenerfolg”. Es gebe jedenfalls eine Sehnsucht nach Natur, nach Genuss, aber auch nach aktiver Regeneration und Bewegung in den Bergen.

Auch die im vergangenen Jahr in Betrieb gegangene, über 70 Mio. Euro teure, Silvretta Therme sei ein klares Zeichen für den Schritt in Richtung Ganzjahresdestination gewesen. Zudem sollen etwa auch sportliche Events den Sommer weiter ankurbeln.

Und für den Winter gelte: Auch wenn das Skifahren im hoch gelegenen Skigebiet im Paznaun weiter das Nonplusultra bleibe, eine Diversifizierung des Angebots werde auch hier wichtiger. “Die Bedürfnisse ändern sich. Der Gast wird kritischer. Früher war jeder jeden Tag im Skigebiet, egal wie das Wetter war. Heute entscheidet er sich kurzfristig. Da braucht es dann Alternativen. Auch das hat uns dazu bewogen, etwa in die Therme zu investieren”, gab Walser einen Einblick in den Tourismus-Alltag. Der Gast wolle mehr beschäftigt werden – und werde anspruchsvoller: “Sobald er drei Minuten bei einer Liftanlage steht, beschwert er sich.”

Auch wenn es um das Klima- bzw. Energiebewusstsein geht, will das Gros der Gäste offenbar den größtmöglichen Komfort: “Wir haben beispielsweise die Sitzheizungen bei den Liften nicht eingeschaltet. Es hat keine drei Tage gedauert, bis sich die Leute beschwert haben.” Dieselbe Situation habe man mit den abgeschalteten Heizstrahlern auf den Terrassen erlebt. Walser ortete in diesen Fragen bei den Gästen einen Unterschied zwischen “dem täglichen Leben und dem Urlaub. Das sind zwei paar Schuhe.” Im Urlaub sei eben der bestmögliche Komfort gefragt.

Gleichzeitig stelle man aber schon auch “vermehrt Anfragen” von Gästen hinsichtlich des Umweltbewusstseins vor Ort fest. Und dabei könnten sich Ischgl und das Paznaun durchaus sehen lassen, so Zangerl und Walser und zählten etwa die mit einem Erdwärmesystem betriebene Therme auf, die im Regelbetrieb unabhängig von fossilen Energieträgern laufe. Auch beziehe man den Stromverbrauch zu hundert Prozent aus Wasserkraft, versuche, möglichst effizient Maschinenschnee zu produzieren sowie Naturschnee zu verteilen und betreibe auf der Idalpe schon lange Solaranlagen.

Dass angesichts diverser Bilder mit Schneebändern in grüner Landschaft aus dem vergangenen Winter der Wintertourismus irgendwann in Gefahr geraten wird, glaubten beide Vorstände nicht. Zumindest nicht in Wintersportgebieten mit der Höhenlage Ischgls. “Wir sind überzeugt, dass man auch in 20 oder 30 Jahren bei uns noch Skifahren kann”, so Zangerl. Walser stellte indes zeitliche Verschiebungen in Bezug auf den Niederschlag fest, mit denen man umgehen müsse. So habe es heuer etwa im März und April ganz viel Niederschlag gegeben. Bis Ende Mai habe man “problemlos Skifahren” können.

Dass Ischgl im Zuge von Corona in die internationalen Negativschlagzeilen geraten war, scheint unterdessen endgültig überwunden. Profitiert habe der Ort oder die Marke Ischgl, wie kürzlich der lokale TVB-Obmann gemeint hatte, aber keinesfalls von den Ereignissen, betonten Walser und Zangerl. “Auf diese ‘Werbung’ hätten wir gerne verzichtet. Zum Glück hat sich im Nachhinein vieles relativiert. Die Gäste haben uns die Treue gehalten. Wir sind sehr froh, wieder zurück auf der Bühne zu sein”, zeigte sich Zangerl zufrieden. Auch das touristische Angebot habe sich verglichen mit Vor-Corona eigentlich nicht geändert. An gewissen “Stellschrauben” sei gedreht worden, das sei aber bereits vor der Pandemie der Fall gewesen. Öffentlich bzw. medial seien Partys und Après-Ski-so sehr im Vordergrund gestanden, dass das andere Angebot zu wenig wahrgenommen wurde. “Der hauptsächliche Grund, weshalb die Gäste kommen, ist das Skifahren. Ein Beweis: Auch im vorletzten Winter, in dem es Corona-Beschränkungen und kein Après-Ski gab, sind sie gekommen”, verdeutlichten die Silvrettaseilbahn AG-Vorstände.

APA/Red.

Gefällt Ihnen der Beitrag?
Facebook
Twitter
LinkedIn
Telegram
WhatsApp
Email
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner