Whistleblower packt aus: “Wie es mir bei Niki erging”
Die Erbstreitigkeiten um Niki Laudas Vermächtnis werfen neues Licht auf sein einstiges Luftfahrtimperium.
Der Name Niki Lauda steht nicht nur für rasante Erfolge im Rennsport, sondern auch für ehrgeizige Unternehmungen in der Luftfahrt. Nach dem Rückzug von der Formel-1-Bühne gründete er 1979 die Charter- und Linienfluggesellschaft Lauda Air, die 2002 vollständig von Austrian Airlines übernommen wurde.
Nur ein Jahr später startete er mit Fly Niki – später „Niki“ – neu durch. Die Airline positionierte sich als preisbewusste Alternative mit regionalem Anspruch, getragen vom Image ihres prominenten Gründers. Doch während die Marke in der Öffentlichkeit als sympathisch und unkonventionell galt, sah der Arbeitsalltag hinter den Kulissen offenbar anders aus.
Zwei Jahrzehnte später ist Lauda erneut Gesprächsthema: Anlass sind Berichte über Erbstreitigkeiten rund um seine Witwe Birgit Sieberer-Lauda. Unter einem Facebook-Posting von ExtraDienst-Herausgeber Christian W. Mucha meldete sich Vanessa Landmann, einst Kabinenleiterin bei Fly Niki, zu Wort – und schilderte ihre Erlebnisse offen.
Zwischen Fassade und Realität
Landmann, die 2008 / 2009 als Kabinenleiterin bei Fly Niki arbeitete, sprach erstmals öffentlich über Erfahrungen, die viele ihrer damaligen Kolleginnen offenbar teilten. Die gebürtige Österreicherin beschreibt einen Arbeitsalltag voller Druck, Überlastung und Improvisation – geprägt von einem Führungsstil, der kaum Spielraum ließ. Gleichzeitig betont sie, dass die damalige Zeit sie auch geprägt habe: als Mensch, als Frau, als Strategin.
Landmanns Erinnerungen zeichnen ein Bild, das in dieser Härte kaum jemand erwartet hätte. Sie erzählt von Schichtplänen mit über 120 Blockstunden, Eigenreinigung der Flugzeuge und einem Arbeitspensum, das bis an die Grenze des Möglichen ging.
Für sie war die Zeit bei Fly Niki prägend – im Positiven wie im Negativen. „Ich war jung, ehrgeizig und wollte fliegen“, sagt sie. „Aber irgendwann merkt man, dass Idealismus und Realität nicht immer zusammenpassen.“
Heute arbeitet Landmann als Strategin und Kommunikationsberaterin. Die Erfahrungen aus der Luftfahrt, sagt sie, hätten ihr die mentale Stärke gegeben, Krisen ruhig zu begegnen.
Interview mit Vanessa Landmann
FaktuM: Frau Landmann, Sie haben in Ihrem Kommentar zu Niki Lauda sehr deutliche Worte gewählt. Was war der Auslöser dafür, dass Sie nach all den Jahren öffentlich Stellung bezogen haben?
Vanessa Landmann: Ich habe die Beiträge von Christian Mucha mit Interesse verfolgt und fand, dass er Themen offen und mutig angeht. Da wollte ich mich einbringen – auch, weil über diese Seite von Niki Lauda bisher kaum jemand gesprochen hat.
FaktuM: Sie waren Flugbegleiterin bei Fly Niki. Wie sah der Arbeitsalltag damals tatsächlich aus?
Landmann: Er war extrem. Wir hatten kaum Pausen, teilweise vier Flüge hintereinander – hin und retour, oft dieselbe Strecke, und das tagelang. Ich erinnere mich an Wochen, in denen ich praktisch im Flugzeug gelebt habe. Wenn wir gelandet sind, mussten wir die Maschine selbst reinigen, neue Catering-Wagen einladen, umstauen – und weiter ging’s.
FaktuM: Sie sagten einmal, die Crew sei oft über Vorschriften hinaus belastet gewesen. Was meinten Sie damit?
Landmann: Wir standen oft auf, bevor es die Vorschriften erlaubt hätten, nur um den Service zu schaffen. Vierer-Legs – also mehrere Hin- und Rückflüge am selben Tag – waren keine Ausnahme. Die Crew war körperlich am Limit.
FaktuM: Wie konnte ein solcher Dauerbetrieb überhaupt funktionieren?
Landmann: Das war System. Niki wollte, dass alles läuft – schnell, effizient, günstig. Da wurde an Personal, Pausen und Ersatzcrews gespart. Wir waren bei Niki direkt ja nicht einmal angemeldet. Wir waren kein fixes Bordpersonal. Sondern Leasingkräfte über eine externe Firma. Offiziell stand in unseren Sozialversicherungsdaten nicht Fly Niki – sondern eine Leihfirma, deren Name kaum jemand kannte. Das war ein Nachteil bei der späteren Jobsuche und sagt schon viel aus.
FaktuM: Gab es niemanden, der diese Zustände anprangerte und hinterfragte?
Landmann: Nein. Es war so verankert, dass man sich eher schämte, wenn man schwächelte. Kolleginnen mit Gips oder Fieber wurden gefragt, ob sie „eh flugfähig“ seien. Ich habe erlebt, dass Crews kurzfristig von privaten Feiern geholt wurden, um fehlendes Personal zu ersetzen – selbst dann, wenn das eigentlich nicht verantwortbar war. Das war kein Einzelfall.
FaktuM: Wie sind Sie und Ihre Kolleginnen mit dieser Belastung umgegangen?
Landmann: Mit Humor. Wir nannten es Galgenhumor. Unser Leitspruch war: The passenger comes first – and the crew comes last.
FaktuM: Warum haben Sie trotzdem weitergemacht?
Landmann: Weil ich jung war, ehrgeizig und das Fliegen geliebt habe. Man wollte dazugehören – und man glaubte, das sei normal. Erst im Rückblick merkt man, wie verrückt es war, 120 Blockstunden im Monat zu haben und trotzdem zu lächeln, als wäre alles in Ordnung.
Mehr als Kaffee und Lächeln
Kaum ein Beruf ist mit so vielen Klischees behaftet wie jener der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter. Hinter der Uniform steckt ein anspruchsvoller Aufgabenmix: Dazu zählen Sicherheit, Evakuierung, Erste Hilfe, technische Kontrolle, Kommunikation mit Passagieren in Ausnahmesituationen.
Damals hieß Landmanns Berufsbezeichnung noch Stewardess. Sie erinnert daran, dass der Begriff Steward ursprünglich aus dem militärischen Bereich stammt. Flugbegleiter waren einst geschultes Sicherheitspersonal – keine Servicekräfte.
„Wir mussten Feuer löschen können, medizinisch helfen, uns im Notfall selbst ins Cockpit setzen können“, sagt sie. „Man ist die Letzte, die das Flugzeug verlässt – und das im wahrsten Sinn des Wortes.“
Traum und Albtraum
Das Gespräch mit Vanessa Landmann öffnet ein seltenes Fenster in die Innenwelt eines Airline-Enterpreneurs, der bis heute als Symbol für Disziplin und Effizienz gilt. Was sie schildert, ist keine Abrechnung, sondern eine präzise Analyse aus der Sicht einer Insiderin.
Ihr Bericht zeigt, welche Kluft zwischen Pioniergeist und Selbstausbeutung in der Luftfahrt herrscht – zwischen jenen, die eine Airline effizient managen, und jenen, die tagtäglich am Boden oder in der Luft schuften.
Viele ihrer Beobachtungen klingen auch heute noch vertraut. Spricht man mit Flugbegleiterinnen moderner Low-Cost-Airlines, könnte man meinen, Niki Lauda war der Erste einer neuen Generation, die das sauber-glänzende Image des Fliegens – und jenes der Stewards – nachhaltig demoliert hat.
Heute sind es nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Preis für den Maximalprofit bezahlen. Es sind auch die Passagiere, die sich in mancher Billiglinie eher wie beim Lufttransport als beim Reisen fühlen.
Landmanns Erzählung ist mehr als eine persönliche Rückschau. Sie beleuchtet Mechanismen, die damals ihren Anfang nahmen – und bis heute in der Low-Cost-Branche fortbestehen.
(red/key)