Air Canada Streik: Vier Tage im Chaos

Der Geschäftsführer der MG Mediengruppe geriet mit seiner Familie mitten in den Arbeitskampf der Flugbegleiter von Air Canada.

19.08.2025 12:33
Redaktion
© MG Mediengruppe
Das Regierungsflugzeug von Wladimir Putin am Rollfeld in Anchorage – fotografiert von Dominik Unger während seiner ungeplanten Wartezeit.

Kanada und Alaska – für europäische Reisende nicht nur Sehnsuchtsziele, sondern auch eine Herausforderung: lange Flugzeiten, enorme Distanzen und eine Zeitverschiebung von bis zu zehn Stunden. Wer sich auf diese Reise einlässt, plant in der Regel sorgfältig und nimmt bewusst viel Aufwand auf sich. Für Dominik Unger war es ein klassischer Familienurlaub – eine mehrwöchige Auszeit am anderen Ende der Welt.

Am 25. Juli startete er mit Frau und Kindern zu einer Rundreise, die ihn von Toronto über Vancouver in die Rockies führte, weiter nach Vancouver Island und schließlich auf eine Kreuzfahrt bis nach Anchorage in Alaska.


Foto: MG Mediengruppe Geschäftsführer Dominik Unger mit Familie in Alaska

„Der Banff-Nationalpark war das eindrucksvollste Erlebnis“, erzählt Unger. „Und auch die Fahrt entlang der Küste Alaskas – traumhaft.“ Bis zum 15. August verlief die Reise wie aus dem Bilderbuch. An diesem Tag sollte der Rückflug beginnen, mit einer Verbindung von Anchorage nach Toronto, zwei Tage später weiter nach Wien.

Der Zeitpunkt des Arbeitskampfes

Doch just zu diesem Zeitpunkt begann einer der größten Arbeitskämpfe in der kanadischen Luftfahrtgeschichte. Am 16. August traten rund 10.000 Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter von Air Canada in den Streik. Ihre Gewerkschaft CUPE forderte höhere Löhne und eine Vergütung der Arbeitszeiten, die bisher unbezahlt bleiben – etwa während des Boardings oder der Sicherheitschecks.
Air Canada hatte eine 38-prozentige Gesamterhöhung über vier Jahre angeboten, davon 25 Prozent im ersten Jahr. CUPE sprach hingegen von real nur 17,2 Prozent Lohnplus – und verwies auf deutlich bessere Abschlüsse bei Mitbewerbern wie Air Transat.

Die Folge: Sämtliche Flüge von Air Canada und Air Canada Rouge wurden gestrichen. Lediglich Regionalpartner wie Jazz Aviation flogen weiter. Täglich waren bis zu 130.000 Passagiere betroffen, insgesamt summierte sich die Zahl der Gestrandeten binnen Tagen auf über eine halbe Million.

Gestrandet am Rand der Welt

Unger bekam die Folgen zuerst in Alaska zu spüren. Nur wenige Stunden vor Abflug erhielt er die Nachricht, dass die erste Teilstrecke nach Toronto gestrichen sei. Ein Ersatzflug wurde zwar angeboten, doch mit gravierenden Umwegen: Statt Direktverbindung musste die Familie über Washington D.C. reisen – inklusive Gepäckabholung, Flughafenwechsel und einem viel zu knappen Zeitfenster.
„Das war schon sehr stressig“, erinnert sich Unger. „Wir mussten innerhalb von drei Stunden von einem Flughafen zum anderen wechseln. Mit Kindern und Gepäck ist das eine logistische Herausforderung.“

Ein Streik, der zum Politikum wurde

Dass Reisende wie Unger improvisieren mussten, ist kein Einzelfall. Die kanadische Regierung versuchte bereits am ersten Streikwochenende gegenzusteuern. Arbeitsministerin Patty Hajdu leitete ein Zwangsschlichtungsverfahren ein, das Canada Industrial Relations Board (CIRB) erklärte den Ausstand für illegal und ordnete die Rückkehr zur Arbeit an.
Doch die Gewerkschaft zeigte sich unbeeindruckt. CUPE-Chef Mark Hancock erklärte sogar, er sei bereit, für die Durchsetzung der Forderungen ins Gefängnis zu gehen. Ein Arbeitskampf mit Symbolkraft – und massiven Auswirkungen auf den internationalen Reiseverkehr.

Ein surrealer Moment in Anchorage

Noch in Anchorage kam es für Unger zu einer Szene, die er so nicht erwartet hätte. „Während wir auf Neuigkeiten von Air Canada warteten, stand da plötzlich die Maschine von Präsident Putin.“ Der russische Regierungsjet rollte über das Rollfeld, während Reisende aus aller Welt in der Abflughalle festsaßen.

„Da steht man gestrandet am Ende der Welt – und zugleich mitten im Zentrum internationaler Politik“, sagt Unger. Er griff zur Kamera und hielt das Bild (siehe oben) fest. Eine Begegnung, die die Absurdität der Situation dokumentierte: Hilflosigkeit und globale Schlagzeilen im selben Moment.

Der Zusammenbruch in Toronto

Nachdem die Familie schließlich doch nach Toronto gelangt war, folgte die nächste Hiobsbotschaft. Der Flug nach Wien wurde 24 Stunden vor Abflug gestrichen – diesmal ohne Alternative. Nur eine anteilige Rückerstattung wurde angeboten.
„Von Air Canada bekamen wir keinerlei Unterstützung. Keine Umbuchung, keine Betreuung, keine Antworten“, berichtet Unger. „Alles mussten wir selbst organisieren.“


Screenshot: Keine Hilfe von Air Canada für die Reisenden

Die Lage in Toronto war chaotisch. Tausende Passagiere suchten nach Ausweichrouten, die Flüge nach Europa waren entweder ausgebucht oder nur noch zu astronomischen Preisen verfügbar. Busse und Züge in andere Städte waren ausgebucht.

Die Entscheidung für den Mietwagen

Am Ende blieb nur eine Möglichkeit: die Flucht über die Straße. Von neun Mietwagenanbietern am Flughafen Toronto war gerade noch bei einem ein Auto zu haben. „Das war Glück im Unglück“, so Unger. Die Familie setzte sich ins Auto und fuhr rund zehn Stunden – knapp 900 Kilometer – von Toronto bis nach New York.

An der Grenze mussten sie lange warten, der Verkehr in Manhattan verschärfte die Nervosität. Doch sie erreichten den JFK Airport rechtzeitig und konnten dort neue Tickets nach Wien kaufen – zum Preis von 2.250 Euro.

Die Rechnung für vier Tage Improvisation

Die unfreiwillige Odyssee schlug sich auch finanziell nieder:

  •  200 Euro für eine Hotelnacht in Toronto
    •650 Euro für den Mietwagen Toronto–New York
    •2.250 Euro für die neuen Tickets nach Wien
    300 Euro für Verpflegung und Nebenkosten

„Insgesamt fast 3.500 Euro zusätzlich – und keinerlei Unterstützung von Air Canada“, bilanziert Unger.

Die Perspektive der Gewerkschaft

Während Passagiere wie Unger improvisierten, blieb die Gewerkschaft bei ihrer Linie. CUPE verweist auf niedrige Grundgehälter, die kaum über dem kanadischen Mindestlohn liegen. Zudem sei es nicht hinnehmbar, dass Arbeitszeiten am Boden – etwa Boarding oder Sicherheitschecks – nicht bezahlt würden. „Andere Airlines in Nordamerika zahlen besser. Unsere Mitglieder haben genug“, erklärte ein Sprecher.

Für Air Canada steht hingegen die internationale Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. Der Konzern betont, mit dem Angebot einer 38-prozentigen Steigerung bereits an die Grenze des Zumutbaren gegangen zu sein.

Was Reisende erleben

Für Reisende auf der ganzen Welt bedeutete der Ausstand Tage des Wartens, des Umbuchens und des improvisierten Weiterkommens. Flughäfen wie Toronto, Montreal und Vancouver verwandelten sich in Auffanglager für Gestrandete. Familien schliefen auf Feldbetten, ältere Menschen harrten stundenlang ohne Betreuung aus.

„Die Stimmung war angespannt, teilweise verzweifelt“, schildert Unger. „Viele wussten einfach nicht, wie sie weiterkommen sollten.“

Rückblick und Fazit

Nach vier Tagen, einem Mietwagen-Marathon und einer teuren Umbuchung saß die Familie schließlich doch im Flugzeug nach Wien. „Das Anstrengendste war das Gefühl der Hilflosigkeit. Ich bin sonst routiniert im Reisen, aber diesmal wusste ich zeitweise nicht mehr weiter“, sagt Unger.

Für ihn steht fest: „Wir würden nicht mehr mit Air Canada fliegen, außer es wäre zwingend notwendig. Der Umgang mit Passagieren im Krisenfall war enttäuschend.“

Und doch bleibt ein positiver Rest: „Trotz allem überwiegt die Erinnerung an eine fantastische Reise. Kanada und Alaska waren großartig – nur die Rückkehr war die schlimmste Reiseerfahrung, die wir je hatten.“

Ein Signal für die Branche

Der Streik bei Air Canada ist mehr als ein Arbeitskampf zwischen Belegschaft und Management. Er zeigt, wie verwundbar der globale Luftverkehr ist – und wie schnell Reisende weltweit ins Chaos gestürzt werden können. Hunderttausende Passagiere sitzen fest, internationale Verbindungen brechen zusammen, ganze Reiserouten geraten ins Wanken.

Für viele wie Dominik Unger bleibt neben den Kosten ein bleibender Eindruck: Wer einmal so gestrandet ist, verliert das Vertrauen in eine Airline.

Letzte Meldung: Die Gewerkschaft CUPE hat eine Einigung mit der Fluggesellschaft Air Canada erzielt und beendet damit den dreitägigen Arbeitskampf. “Der Streik ist beendet”, teilte die Gewerkschaft auf Facebook mit. “Wir haben eine vorläufige Vereinbarung, die wir Ihnen vorlegen werden.” Details wurden zunächst nicht bekannt.

(red)

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