Cancel Culture

Warum unsere Gesellschaft immer weiter an positiver Substanz verliert, weil uns die Gutmenschen-Meinung immer und allüberall diktiert wird.
© privat

Mit dieser Ausgabe tritt FaktuM in eine neue Ära ein. Nach vierzig Jahren haben wir unseren Verlagssitz von der Zieglergasse im 7. Bezirk an den Burgring 1 verlegt und nehmen dies zum Anlass, um Ihnen zu zeigen – in eigener Sache – wie wir uns neu aufgestellt haben, wie das neue Büro organisiert, strukturiert, renoviert wurde. Wer uns dabei freundlich zur Hand gegangen ist. Die entsprechende Reportage lesen Sie ab Seite 40. 

In der diesmaligen Ausgabe, die eine unserer Dreißig-Jahre-Jubiläums-Editionen ist, breche ich freilich auch noch mit einer anderen Tradition: In meinem diesmaligen Leitartikel widme ich mich einem Grundsatzproblem unserer Gesellschaft, das mich – und ich bin überzeugt davon, auch viele von Ihnen – extrem bewegt: 

Wer heutzutage seine Meinung äußern will, der hat ein echtes Problem. Drei Eigenschaften sollte man möglichst nicht in der eigenen Person vereinen. Also: man sollte nicht weiß sein, man sollte nicht alt sein und man sollte tunlichst kein Mann sein. Mein Problem dabei: Ich vereine genau diese drei Eigenschaften in meiner Person. Aber eigentlich – Hand aufs Herz – kann ich weder für das eine noch für das andere noch für das Dritte irgendetwas. Denn es ist das Schicksal, das bestimmt hat, dass ich in Nussdorf und nicht in der Bronx geboren bin. 

Glatter Zufall, dass meine Hautfarbe weiß ist. Auch mein Geschlecht habe ich – obwohl das immer mehr in Mode kommt – nicht selbst gewählt. Und dass ich alt bin, sehe ich als Gnade. Gnade Gott denen, die dagegen wettern. Ich wünsche Ihnen, dass sie auch so alt werden wie ich. 

Vereinst Du nun diese drei Eigenschaften in deiner Person und willst trotzdem so etwas wie eine qualifizierte Meinung äußern, dann hast Du ein Problem. 

Heute möchte ich über die Themen Cancel-Culture, Mainstream, den Begriff „woke“ und damit verbunden über die Intoleranz in unserer Gesellschaft und den Verlust der Meinungsfreiheit nachdenken. 

Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir immer mehr vom Mob und von Fanatikern die Hände um den Hals gelegt bekommen.

Schon Barack Obama meinte seinerzeit: „Nicht die besseren Argumente zählen, sondern zunehmend die zur Schau gestellte Haltung und die Moral“. 

Und Milos Matuschek schrieb 2020, dass die Gesellschaft sich in einer Situation befinde, wo längst der Sieg der Gesinnung über die rationale Urteilsfähigkeit stattgefunden hat. 

Um es einfacher zu formulieren: Eine Minderheit von degoutanten und erbärmlichen Sittenwächtern (ja, diese Typen sehe ich genauso übel, wie jene, die Frauen auf der Straße verprügeln, weil sie sich nicht so, wie die sich das vorstellen, kleiden) wacht über allem, was wir da sagen, äußern und tun. Schreibt uns frech vor, wie wir uns zu äußern haben und gibt die Tabuthemen vor. 

Greifst Du heute ein Reizthema auf, dann wirst Du geprügelt. Dann kriegst Du Deinen Shitstorm. Dann machen sie dich nieder. 

Das Ärgste: Diese Partie hat eine Methode gewählt, in der man jene, die eine Meinung vertreten, die ihnen zuwider ist, ihrer bürgerlichen Rechte beraubt. Dafür sorgt, dass sie ignoriert werden. Man nennt das „Cancel Culture“. Sprich: Du sagst etwas, was denen nicht passt. Und wirst gecancelt. Gecancelt heißt: Du kommst in den Medien nicht mehr vor. Du wirst auf den sozialen Netzwerken gesperrt. Du kannst nicht mehr das, was Du dir denkst, sagen, schreiben, posten. 

Und das ist eine erbärmliche, gefährliche und degoutante Entwicklung unserer Gesellschaft. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine Reihe von Typen, die vielfach in dominanten Positionen sitzen, die Themen vorgeben. Und wehe, man widerspricht bei einem der Reizthemen der Mainstream-Meinung. Wehe, Du wagst es, auch nur eine kleine Äußerung darüber zu machen, dass die Unschuldsvermutung überall gelten sollte. Und während die Medien auf jemanden draufprügeln, über den nur Verdacht geäußert wird und der eine oder andere Mahner warnt, „warten wir doch ein wenig zu, bis die Fakten auf dem Tisch liegen“, wird der Mahner ob seiner verbalen Sorgfalt niedergebügelt. Ich habe jüngst mit einer verantwortungsvollen, seit Jahren tätigen, erfahrenen und klugen Executive Persönlichkeit im Polizeidienst gesprochen, die sich mit dem Thema „Körperliche Attacken“ beschäftigt. Tagaus, tagein. Sie hat mir ein paar Zahlen genannt, die inoffiziell sind. Sie meint, über 80 Prozent jener Fälle, wo es um das Thema sexuelle Belästigung geht, kommen aus dem Familienbereich und sind an den Haaren herbeigezogen. Erfunden, erdacht, als Drohgebärde gegen den eigenen Ehemann geäußert. Als Erpressungsmittel, um sich in der Familie zur Wehr zu setzen, um sich zu rächen oder die Dominanz im Familienbereich zu gewinnen. Das sind die Fakten. Diese achtzig Prozent verlaufen dann im Sande. Doch warum schreibt das keiner?  

Ich habe gelernt und das ist mein Verständnis, dass man die Dinge „ausreden“ sollte. Zum „Ausreden“ gehört, dass da mehrere Positionen an den Tisch kommen, die durchaus widersprüchlich sein mögen. Jeder darf ausreden. Die unterschiedlichen Meinungen werden gehört. Am Schluss kommt man zu einem Ergebnis, das ausgewogen, das fair, sprich ausdiskutiert ist. 

Doch das „Ausdiskutieren“ ist aus der Mode gekommen. Die Meinungsfreiheit wird schon in den Ansätzen gekillt. Mit den Mitteln der Cancel-Culture werden jene, die eine Meinung vertreten, die nicht dem meist linken (es gibt dieses Phänomen aber auch am rechten äußeren Rand der Gesellschaft) Spektrum angehört, dazu gedrängt, nur das zu verbreiten, was heutzutage von den Sittenwächtern vorgeschrieben wird. 

Fazit: Ich will nicht, dass es unmöglich wird, dass man noch seine Meinung äußert. Auch, wenn sie noch so kontroversiell sein mag. Auch, wenn man damit gegen den Mainstream schwimmt. Es kann einer weltoffenen, vielfältigen und bunten Gesellschaft nicht guttun, wenn Indoktrinierung, Einschränkung und Zwang die Meinungsfreiheit abschnüren. 

Ein Fleischlaberlproduzent, dessen Namen ich niemals nennen werde (es war McDonald‘s), hat vor vielen Jahrzehnten mit dem Slogan „Ein Geschmack geht um die Welt“ geworben. Ich hatte damals – man mag es nicht für möglich halten – Lokalverbot (?!) bei McDonald‘s, weil ich mir erlaubt habe, zu schreiben, dass jetzt die gastronomische Apokalypse über uns hereinbricht. Ich schrieb damals: „Ein Geschmack geht um die Welt. Entsetzlich, wenn nur mehr ein einziger schrecklicher Geschmack um die Welt geht.“ Das Lokalverbot war eher schwer zu kontrollieren, aber ehrlich gesagt, ich esse nicht bevorzugt Burger. Ich habe auch das überstanden. 

Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Wenn nur mehr eine einzige Mainstream-Meinung in jedem haarigen Themenkreis um die Welt gehen darf, dann wird unsere Welt immer ärmer. Sie wird erbärmlicher. Sie wird enger. Sie wird orbanisiert. Und das sollten wir alle nicht zulassen. Deshalb mein Aufruf: Bekennen Sie sich zu Ihrer Meinung. Aber seien Sie vorsichtig im Formulieren. Denn die Sittenwächter sind eine üble Bande. Sie sitzen an den Schaltstellen. Sie oktroyieren uns ihre Meinung allüberall. 

Was haben wir gelernt, wie guter Journalismus funktioniert? Er trennt Meinung und Information. Etwas, das ich Armin Wolf seit Jahrzehnten vorwerfe. Ich brauche keine Bewertung des ORF-Anchorman, wie er eine politische Situation sieht. Ich möchte die Fakten von ihm hören. Er ist Moderator. Er hat moderat zu informieren. Aber: Ich kann mir danach selbst – wenn ich Facts und kein Fake bekomme (was ich beim ORF voraussetzen möchte) – meine eigene Meinung bilden. Und die ist Teil meines Daseins. Ich denke nicht daran, dieses Privileg, diese Freiheit zu verlieren. 

Der ORF gerät dieser Tage, was die Zusammensetzung seines Stiftungsrates betrifft, ordentlich in die Bredouille. Interessanterweise hat sich jüngst just der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil geäußert, dass er dazu als Zeuge zur Verfügung stehe. Interessant, dass ein Sozialdemokrat den ORF attackiert, wo achtzig Prozent der Redakteure bei den Betriebsratswahlen den „Linken“ und den „Grünen“ zuzuordnen sind. Obwohl dort – über die Mehrheit im Stiftungsrat – eine schwarzblaue Mehrheit an die Macht gekommen ist. 

ORF-GD Roland Weißmann hat in vielen Gesprächen mit mir immer eines betont. Und was er sagt, ist auch durchaus logisch. Es gibt kein Unternehmen der Welt, wo journalistische Werte gelten (und das gilt im ORF laut Redaktions-Statut als festgeschriebenes Credo), wo die Topmanager sich gegen die Strömung im eigenen Haus stemmen könnten. Der Fluss fließt, das ist sein Geschäft. Es wäre naiv, zu glauben (Monika Lindner war so naiv – und ist kläglich damit gescheitert), dass man, wenn man in der Generaldirektion sitzt, einer Tausendschaft von Mitarbeitern eine konservative Linie vorgeben kann, sie umpolt und indoktriniert. Wer in diesem naiven Glauben lebt, der kommt sehr schnell drauf, dass man (bildlich gesprochen) den gesamten Apparat sprengen und die Mannschaft zu 80 Prozent austauschen müsste, wollte man derartiges realisieren. Undenkbar. Naiv. Weltfremd. 

Was also kratzt Doskozil? Wie man persönlich mit ihm verfahren ist? Oder mit seiner SPÖ, deren Gedankengut doch bei den meisten Mitarbeitern (siehe Betriebsratswahl), um es vorsichtig zu formulieren, auf fruchtbaren Boden fällt? 

Irgendwie werde ich daraus nicht schlau. Was wird jetzt angeprangert? Die Mehrheit im Stiftungsrat oder die Zusammensetzung der Journalisten, die definitiv in ungezählten Fällen ihre woke Meinung vertreten haben? Denn woke sein bedeutet: „Pass auf, was Du da sagst. Sage nur das, was der Mainstream dir vorschreibt. Weiche nicht ab von der Meinung, die als politisch korrekt gilt.“ Diejenigen, die die „besseren“ Menschen sind (man kann sie auch als „Gutmenschen“ bezeichnen), machen die Vorschriften. Schreiben uns allen mittlerweile fast alles vor. Und setzen alles daran, jene, die nicht dem Mainstream der politischen Korrektheit folgen, zu bashen, niederzumachen und sie damit zu bestrafen, dass sie gecancelt werden. Einer wie ich lässt sich freilich nicht canceln. Lässt sich nichts vorschreiben. Solange ich atmen kann. Bitte unterstützen Sie mich dabei. Indem auch Sie zu Ihrer eigenen Meinung stehen. Wir alle können dazu beitragen, dass die Vielfalt unserer Gesellschaft weiterhin erhalten bleibt.

Das wünscht sich

Ihr

Christian W. Mucha

Herausgeber

Gefällt Ihnen der Beitrag?
Facebook
Twitter
LinkedIn
Telegram
WhatsApp
Email
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner