DE: Straßenchaos wegen Bauernproteste

Protest gegen die Streichung von Subventionen - Blockaden auf Autobahnen - Traktorkolonnen in Städten - Extremismusforscher sieht Unterwanderung durch rechte Akteure
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Mit Blockaden an Autobahnen und Traktorkolonnen in Städten haben am Montag deutschlandweite Bauernproteste gegen Subventionskürzungen begonnen und zu großen Verkehrsbehinderungen geführt. Am Dienstag sollte es ruhiger werden, bevor am Mittwoch laut einem Sprecher des deutschen Bauernverbandes wieder mehr Aktionen geplant sind. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, man werde an den Kürzungen festhalten. Extremisten wollten Deutschland lahmlegen, warnt ein Forscher.

Die Bundesregierung steht dazu“, sagte Scholz am Montag nach einem Treffen mit Luxemburgs Premierminister Luc Frieden im Kanzleramt in Berlin, während die Opposition versuchte, die Proteststimmung für sich zu nutzen und den Druck auf die angeschlagene Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu erhöhen. Die Subventionen seien schon seit vielen Jahren kritisiert worden – und bei einem Subventionsabbau gebe es immer Stimmen, die sagen, “aber nicht diese”, so der deutsche Regierungschef. Nun bleibe die Ampel-Regierung bei ihrem Vorhaben, das “in sehr kurzer Zeit” im Bundestag zur Abstimmung stehen soll.

In vielen deutschen Großstädten fuhren die Landwirte – in manchen mit tausenden – Traktoren auf und sorgten zum Teil für Chaos. In mehreren Bundesländern, darunter Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg, blockierten Landwirte mit ihren Traktoren Autobahnauffahrten.

In Niedersachsen stellten die Bauern die Fahrzeuge zeitweise auch auf die Autobahnen selbst. Dort gab es auch einen Verletzten, der später aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Ein Autofahrer hatte den Demonstranten erfasst und schwer verletzt. Der Kfz-Lenker wollte laut Polizei eine Blockade über einen Geh- und Radweg umfahren, wobei er mit einem Protestteilnehmer kollidierte. Der Fahrer flüchtete zunächst, wurde später aber gestellt.

Im VW-Werk Emden wurde die Produktion gestoppt. Für die Beschäftigten sei es wegen bäuerlicher Blockaden nicht möglich gewesen, zur Arbeit zu kommen, sagte eine Konzernsprecherin. Und auch so mancher Österreicher kam mit den Auswirkungen der Protestaktion direkt in Kontakt. So kam es auch im “Deutschen Eck” zu Verzögerungen, von welchen vor allem heimreisende Skiurlauber betroffen waren.

Die Bauern erhielten in einigen Städten Unterstützung etwa von Lastwagenfahrern und Handwerkern. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte vor einer Kaperung der Bauernproteste durch extreme Kräfte. “Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt“, sagte Habeck in einem auf sozialen Medien verbreiteten Video. Darin forderte er auch eine Debatte über einen Wandel der Landwirtschaft.

Kritik ist Teil der Demokratie. Sie ist nötig und gehört dazu“, sagte Scholz. “Darüber darf sich keiner beschweren. Ich tue es jedenfalls nicht.” Scholz fügte hinzu: “Der Zweck heiligt natürlich nicht alle Mittel. Deshalb sei angesichts des Entgegenkommens der Bundesregierung, die Teile der Kürzungen beim Agrardiesel nach Protesten bereits wieder zurückgenommen hat, wichtig, “dass jetzt Maß und Mitte gehalten werden“. Das solle auch ein Anliegen von Demokraten sein, “gerade in Zeiten wie diesen“.

Der Magdeburger Extremismusforscher Matthias Quent forderte von den protestierenden Bauern eine klare Abgrenzung von rechten Mitläufern. Nationalistische, rechtsextremistische und verschwörungsideologische Akteure versuchten, die Bewegung politisch zu instrumentalisieren, sagte Quent im Deutschlandfunk. Ihnen gehe es nicht um Agrardiesel, sie “wollen Deutschland lahmlegen”.

Der Bauernverband hat zu einer Aktionswoche aufgerufen, um gegen die Streichung von Subventionen für die Branche zu demonstrieren. Dabei geht es vor allem um die Steuervergünstigung von Agrardiesel. Dass die Regierung in Berlin einen Teil ihrer Sparpläne zurückgenommen hat, reicht dem Verband nicht aus. Nach einer eskalierten Protestaktion gegen Wirtschaftsminister Habeck an der Nordsee rief der Bauernverband am Wochenende seine Anhänger aber auch zur Mäßigung auf und forderte, Aktionen vor Wohnungen von Politikern und persönliche Anfeindungen zu unterlassen. “Die nehmen der Landwirtschaft die Zukunftsfähigkeit. Vor allem gefährden wir am Ende die gesicherte Versorgung mit heimischen, hochwertigen Lebensmitteln“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied.

Ein Wegfall der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel bedeutet laut deutscher Regierung durchschnittlich Mehrkosten von etwa 3.000 Euro im Jahr pro Betrieb. Die generelle Ertragslage der Landwirtschaft hatte sich nach Branchenangaben nach einer längeren Durststrecke zuletzt weiter verbessert. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stieg der durchschnittliche Gewinn der Betriebe auf das Rekordniveau von 115.400 Euro – ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon sind aber unter anderem noch Investitionen zu bezahlen.

Die in Deutschland lebende österreichische EU-Abgeordnete Sara Wiener (Grüne) meinte in einer Aussendung am Montagabend, die Dieselsubvention lindere nur Auswirkungen eines kaputten Systems, äußerte im EU-Wahljahr aber auch Verständnis für die Proteste. Ein “allgemeines Verständnis für die Proteste gegen die Kürzung” sei “angebracht, langfristig braucht es vor allem aber ein Umdenken und eine Strategie, wie eine Transformation hin zu einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Landwirtschaft gelingen kann“, so die Politikerin.

APA/Red.

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