Heiraten im Ausland
TikTok, wohin soll mein nächster Trip gehen? Die soziale Plattform gewinnt an Gewicht für Reiseentscheidungen.
Manche befragen Freunde, Bekannte und Verwandte. Andere lassen sich von bunten Werbesujets begeistern. Oder lauschen der Expertise gestandener Profis. Immer mehr Kunden setzen aber auch auf Inspirationen aus dem Internet. Nicht ganz unerwartet führt der Weg auch zu den allseits beliebten sozialen Medien. Dort erwirbt ein Digital-VIP steigende Beliebtheit als mögliche Anlaufstelle für gute Informationen in Sachen Erholung. Laut einer Studie der amerikanischen Reise-App Tripit gewinnt TikTok verstärkt an Gewicht, wenn es um Entscheidungen für Reisen geht.
Gewisse Pluspunkte liegen auf der Hand. TikTok ist global höchst populär, was der aktuell sehr heftige Gegenwind aus den USA kaum groß ändern dürfte. Das Netzwerk hat in relativ kurzer Zeit einen hohen Stellenwert bei der internationalen E-Community erreicht. Die Entwicklung ist den Unternehmen keineswegs verborgen geblieben. Strategen orten eine reichweitenstarke kommerzielle Spielwiese für bunte Videos mit unterschiedlichstem Content. Damit avanciert TikTok auch immer stärker zur vielversprechenden Destination für betriebliche Aktivitäten.
Auch die heimische Tourismusbranche zeigt zusehends Flagge, belegt unter anderem Mondial Reisen. „TikTok ist ein wichtiger Hebel im Online-Marketing, um neue Zielgruppen mittels Video zu erreichen. Wir bewerben Destinationen, Angebote, Kreuzfahrten und Themen wie Heiraten im Ausland oder Honeymoon. Die Breite an Nutzern ist sehr groß, zahlreiche Millennials sind auch schon hier präsent. Viral zu gehen ist ebenfalls sehr rasch möglich, sofern der Clip auch den Puls der Zeit trifft“, weiß Gregor Kadanka, Geschätsführer von Mondial Reisen.
Inspirierender Content
TUI Österreich ist auch auf den Zug aufgesprungen und hat seit November 2023 einen TikTok-Account. „Wir wollen Mehrwert für die User schaffen, indem wir sie mit Urlaubscontent inspirieren und Tipps rund ums Reisen geben. So wie Ausflugsziele und Dinge, die man unbedingt vor der Reise beachten sollte. Wir präsentieren Produkte und die Marke auf spielerische Weise, die für die junge Zielgruppe ansprechend ist, um damit ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen“, erklärt Susanne Egger, zuständig für Social Media & Kampagnenmanagement bei TUI Österreich.
Sie verweist auf konkrete Vorteile eines Engagements: „Durch Videos von schönen Zielen, Hotels, Aktivitäten oder lokalen Sehenswürdigkeiten lässt sich bei potenziellen Kunden Interesse wecken. TikTok hat eine sehr aktive Nutzerbasis, die hauptsächlich aus jüngeren Menschen besteht. Daher ist TikTok optimal dafür, eine jüngere Zielgruppe anzusprechen und diese auf unsere Angebote aufmerksam zu machen. Ein weiterer Vorteil ist die direkte Interaktion durch Kommentare, Duette und Livestreams.“
Trotz aller Vorteile wartet hier keineswegs das neue ultimative Allheilmittel der digitalen Marktkommunikation. Speziell im IT-Bereich bauen sich rasch Hypes auf, um über Nacht wieder zu verschwinden. Oder das nächste Megatool sorgt für Begeisterungsstürme bei Beratern und Analysten. Deshalb raten Experten dazu, genau zu überlegen, ob und wie ein Engagement auf der Plattform Sinn hat. Denn der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Verbraucher kann speziell bei sozialen Medien eine harte Nuss sein, die viel spezifische Expertise verlangt.
Erreichen von jüngeren Konsumenten
„Verantwortliche im Tourismus müssen zuerst einmal herausfinden, wie bedeutend die Plattform für ihre Zwecke tatsächlich ist. Dieser Faktor lässt sich aber auch nicht generalisieren, sondern basiert auf der Region, Angeboten und den angestrebten Zielgruppen. In jedem Fall sollte TikTok auf dem medialen Radar sein, speziell wenn man jüngere Konsumenten national oder vor allem global erreichen will“, weiß Markenspezialist Michael Brandtner.
Es ist die oft zitierte Generation Z, deren Gunst sich über diesen Kanal offenbar besonders nachhaltig gewinnen lässt. Jene Personen, geboren zwischen 1995 und 2010, sind gemäß der Analyse von Tripit ganz besonders für Empfehlungen von TikTok-Akteuren empfänglich. Der elektronische Lokalaugenschein macht sicher: So wie andere soziale Netzwerke ist diese elektronische Destination garantiert kein Altersheim-Vorposten. Egal ob vor oder hinter dem Monitor. Wer hier andockt, trifft vielmehr auf Konsumenten von morgen, die Kataloge von Reiseveranstaltern als Relikte aus dem Dinosauerierpark werten.
Social Media für Kaufinformationen
Aber der Zeitgeist hat sich bekanntlich geändert, was auch der Tourismus kaum ignorieren kann. „Die Konsumenten verbringen täglich mehrere Stunden auf verschiedenen Plattformen. Soziale Medien erweitern die Möglichkeiten für neue Strategien enorm. Die Bedeutung von Social Media für Kaufinformationen steigt deshalb. Plattformen wie TikTok, Pinterest, Meta oder YouTube sind aus der Customer Journey von Händlern ebenfalls nicht mehr wegzudenken“, konstatiert Oliver Olschewski, CEO der Offerista
Dennoch führt für die Taktiker in den Chefetagen kein Weg vorbei an Hausaufgaben. Denn TikTok ist so wie andere Social Media-Verheißungen im Solisten-Modus offenbar weit weniger effizient. Olschewski: „Der Fokus auf nur eine Plattform reicht nicht aus, um die Zielgruppen adäquat zu erreichen. Der Schlüssel liegt im Mix. Mehrere Touchpoints sind nötig, um einen Kaufimpuls auszu lösen. Für Händler und Marken ist es essenziell, Kunden bei den bevorzugten Kanälen abzuholen. In jenem Format, das für das Medium und die jeweilige Plattform ganz besonders geeignet ist.“
Wer dann etwa In-Feed-Ads schaltet, die im persönlichen Feed des Users gezeigt werden, muss ebenso wenig tief in die Tasche greifen wie bei Videoanzeigen. Anbieter der Marke TikTok machen Bewegtbild vielmehr selbst für kleinere und mittlere Betriebe halbwegs erschwinglich, was Herstellung und Platzierung betrifft. Wer aufgrund seines Budgets keine Chance auf Spots im Fernsehen oder Kino hat, findet hier eine brauchbare Alternative. Längst ist auch bekannt, dass Video ein probates Mittel für gesteigerte Aufmerksamkeit darstellt – sofern auch die Qualität stimmt.
Integration von Shops
Dann steigt für Unternehmen auch die Chance auf bare Münze. Im besten Fall vermittelt die Präsenz auf TikTok nicht nur Information, sondern füllt gleichzeitig die Kasse durch direkte Verkäufe über die Plattform. Die Chancen auf Erträge stehen gut: Händler werden 2024 nicht mehr am Social Commerce vorbei kommen, lautet die Prognose der Digital-Lead-Agentur Spinnwerk. Was wohl auch für touristische Anbieter Berechtigung gelten sollte. Durch die Integration von Shops können User alle schönen Dinge, die sie dort entdecken, gleich erwerben, ohne die App zu verlassen. So wird das Online-Erlebnis mit Eigenheiten sozialer Medien kombiniert. Diese Option werden die Plattformen auch in Europa ausbauen, sagen die Profis.
TikTok scheint aber noch eine weitere Eigenschaft zu besitzen, die Personalchefs sicher goutieren. Es ist das Anlocken von Arbeitskräften. Hier wächst offenbar eine Alternative zu Stellenanzeigen und Karriere-Messen heran, wenn es um die schwierige Überzeugungsarbeit von Talenten geht. Schließlich finden Unternehmen an diesem Ort genau jene jungen Söhne und Töchter vor, die allseits dringlich gesucht werden. Kadanka: „Nicht zu unterschätzen ist TikTok gleichermaßen für ein kreatives Employer Branding. Das ist besonders spannend für den Tourismus, da an guten Fachkräften ein Mangel herrscht“.
Trotz aller rosigen Perspektiven müssen sich Veranstalter, Regionen und Destinationen konkret entscheiden, ihre Präsenz bei TikTok zu intensivieren. Denn halbe Sachen mit wenig Aufwand werden kaum schillernde Resultate erzeugen. Schließlich herrscht auch auf dieser Plattform ein heftiger Konkurrenzkampf zwischen anwesenden Betrieben. Wer nicht auffällt oder an der falschen Stelle spart, landet flott im Niemandsland der öffentlichen Wahrnehmung. Hier melden Insider leise Zweifel an: „Absichtserklärungen und Pläne gibt es in der Branche genug, nur die Umsetzung lässt auf sich warten, weil viele Chefs noch sehr konservativ agieren“, meint ein Touristiker.
Agile Unternehmen
Weckrufe sind ohnehin genügend vorhanden. Eine Studie der Managementberatung PwC Österreich zusammen mit PMI Austria (Project Management Institute) betont die Bedeutung von Kontrapunkten zur inneren strategischen Erstarrung in so manchen Besprechungszimmern. Es geht dabei um gezielte Reformen und Reaktionen auf wichtige Entwicklungen in der Branche und bei Zielgruppen statt pragmatischer Beharrung auf veralteten Methoden. Im Zentrum steht das heute immer häufiger gepriesene agile Unternehmen: Organisationen reagieren in kürzester Zeit auf veränderte Dynamik und Kundenbedürfnisse und finden durch proaktives Handeln möglichst effiziente Lösungen.
Unternehmen, die fast ausschließlich agil arbeiten, haben sich im Vorjahr verdoppelt. Agile Methoden werden primär für digitale Projekte und Innovationen angewendet. Luka Petek, PwC Österreich: „In einer unsicheren Geschäftswelt überleben heute nur anpassungsfähige Betriebe. Durch Digitalisierung, Nachhaltigkeit und New Work wird es für Organisationen immer wichtiger, mit agilen Praktiken flexibel auf die Anforderungen in dynamischen Märkten zu reagieren.“ Bevor ein Pleitegeier an das Firmentor tiktokt.