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Nur ned hudeln

Reisen wie vor hundert Jahren, der Weg als Ziel: Nostalgiereisen garantieren Entschleunigung und Entspannung. Am besten funktioniert das auf der Schiene.

05.06.2024 12:56
Redaktion
© Orient Express

Reisen wie anno dazumal – das klingt nach Entschleunigung, nach bewusst gewählter Langsamkeit. Bewusst und vor allem achtsam. So soll man „urlauben“, wenn man eine sogenannte Nostalgiereise antritt. Hier soll sich der Reisende Zeit nehmen, die Natur genießen und die Einheimischen kennenlernen. Ohne Selfiestick in der Hand und Airpods im Ohr.

Im Ranking der sichersten Verkehrsmittel belegt der Zug den zweiten Platz. Ein guter Grund, sich auf eine Nostalgiefahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn zu geben?! Eventuell. Egal ob mit dem Zug durch die Gegend dampfen oder mit einem historischen Flussschiff durch Kanäle und Aquädukte, Schleusen und Seen beispielsweise von der Nord- zur Ostseeküste zu schippern. Nostalgiereisen nehmen den Fuß vom Gas. Entschleunigung ist angesagt, und „Slow Travel“ steht in neonfarbener Überschrift auf der To-do-Liste von so manchem gestressten Workaholic, der in seiner Work-Life-Balance im Alltag stets nach dem „Life“ sucht.

Reisetrend Slow Travel

Langsam unterwegs sein. Weniger Stress, dafür mehr sehen. Corona hat uns das „Slow Travelling“ schmackhaft gemacht, denn das pandemiebedingte „Owa vom Gas“ empfanden viele von uns als doch recht angenehm. Slow Travel ist der Gegentrend zu einem Jetset-Leben. Ankommen ist dabei nicht das Ziel, das Unterwegssein an sich erfährt die größte Wertschätzung auf einer solchen Reise. Beim Slow Travel tauscht man Tempo gegen Reflexion und Entfernungen gegen Tiefgang. Schon einmal an eine Seereise auf einem Containerschiff gedacht? In 15 Tagen von Bremerhaven über die USA nach Mexiko – alles möglich. Arne Gudde, Geschäftsführer des Veranstalters „Langsamreisen“ aus Berlin, meint dazu: „Auf einer Frachtschiffreise hat man keine Ablenkung.“ Es gehe darum, der Natur nah zu sein und Zeit zu haben. 

Aber auch der ökologische Fußabdruck spielt eine signifikante Rolle bei der Entscheidung für eine Nostalgiereise, denn dabei ist man sich über die Auswirkungen seines Handelns bewusst. Langsamer und damit auch länger reisen und somit auch seltener, dafür nachhaltiger – das hat durchaus Vorteile für das Klima. 

Massentourismus? Nein, danke!

Slow Travel ist die erfolgreiche neue Form von Erlebnisreisen. Slow Travel ist flexibel. Es lässt sich im Luxus- wie im Low-Budget-Segment realisieren, in der freien Natur ebenso wie in Städten, privat und im Rahmen geschäftlicher Anlässe. „Das Phänomen hat seine Wurzeln im Megatrend Individualisierung und ist Teil des wachsenden Anspruchs nach Selbstgestaltung des eigenen Urlaubsideals. Das Tempo drosseln, Qualitätserlebnisse anders wahrnehmen, wirklich genießen statt nur Eindrücke sammeln – all das hat mit einer neuen persönlichen Haltung zu tun. Bedingt wird der Wandel durch das immer stärker verbreitete Gefühl, dass die Welt schneller zu werden scheint und der Alltag definitiv komplexer wird. Hier werden die Zeiten des Resets, des Pausierens, Tiefdurchatmens und Anhaltens umso wertvoller“, so ein Blog-Beitrag auf der Website zukunftsinstitut.de. 

Wer den Wunsch nach Entschleunigung hat, vermeidet auf Reisen jede Form des „Durchgeschleustwerdens“, eines passiv erlebten Spektakels, wie es häufig für Touristen im Pauschal-Segment inszeniert wird. Dem Slow Traveller geht es darum, „Slowness“ mit verschiedenen Aktivitäten zu verbinden. Und diese Slowness erlebt man meistens eben auf Schiene.

Nostalgiereisen klingen nach „Zurück nach damals“, nach einer „Zeitreise“ mit nostalgischen Verkehrsmitteln und Eisenbahn-Romantik. Holzbänke, lautes Rumpeln und eine zischende Dampflock – so muss echtes Bahnfahr-Feeling sein. Aber auch mit Oldtimer-Fahrzeugen lässt sich ein Gefühl von „Langsamkeit“ leicht herbeizaubern. Das goldene Zeitalter des Reisens erleben, fernab vom heutigen Massentourismus. In unserer hektischen Zeit, einer Zeit der verkehrten Werte, gibt es dadurch eine Rückbesinnung auf eine Epoche weitab vom Pauschaltourismus. 

Mythos Orient Express

Machbar ist das etwa mit dem Orient-Express, der mehr als nur ein Mythos ist. Der belgische Ingenieur Georges Nagelmackers holte sich die Inspiration für diesen Zug in den USA, wo er im 19. Jahrhundert zum ersten Mal in einem Fernreisezug unterwegs war. In der damaligen Zeit waren Schlafwaggons noch eine absolute Rarität und für viele Reisende eine Faszination. Nagelmackers war von der Idee, Schlafen und Reisen zu verbinden, angetan. Die Idee für den Orient-Express war geboren. 

Nach seiner Rückkehr nach Europa gründete er die Firma „Compagnie International des Wagons-Lits“, zu deutsch „Internationale Gesellschaft für Schlafwagen“. Am 5. Juni 1883 fuhr der Orient-Express seine erste Strecke von Paris nach Konstantinopel, das heutige Istanbul. Er war ein Zug der absoluten Luxusklasse. Ausschließlich feinste Materialien wurden für den Bau verwendet. Edles Teakholz schmückte die Waggons, schwere Teppiche bedeckten den Boden, hochwertige Ledersessel gab es als Interieur. Champagner wurde in Kristallgläsern serviert. Schauspieler, Sänger, Schriftsteller und Künstler gingen mit dem Orient-Express auf Reisen. 

Doch diese glamouröse Epoche dauert nicht allzu lange. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Luxuskonzept immer weiter aufgeweicht, bald war der Orient-Express ein gewöhnlicher Fernzug. Komplikationen infolge der beiden Weltkriege und der Eiserne Vorhang gaben dem Zug den Rest.

Nostalgie pur: Blick in eine Schlafkabine des Venice Simplon-Orient-Express // © Orient Express

Seit dem 25. Mai 1982 ist der Zug unter dem Namen „Venice Simplon-Orient-Express“ mit 17 authentisch renovierten Original-Waggons wieder auf Europas Schienen unterwegs. Liebhaber des besonderen Reisens können im legendären Luxuszug verschiedene Teilstrecken der Originalroute bereisen. Der heutige Orient-Express steuert zahlreiche europäische Städte an. Wer eine Zugreise der besonderen Art erleben will, hat daher eine große Auswahl an verschiedenen Strecken. Eine der beliebtesten ist Venedig-Paris-London. Diese Reise dauert nur zwei Tage und kostet über 2.000 Euro. Nostalgie ist also nicht zwingend ein Schnäppchen. Wer vollkommen in die Welt des Orient Express versinken will, kann auch die historische Route von Paris nach Istanbul buchen. Die Reise auf der legendären Original-Route dauert circa sechs Tage und kostet knapp 9.000 Euro. In den Ticketpreisen ist die Verpflegung an Bord immerhin inklusive, nur für die Getränke zahlt man extra.

Wer Anfänger in Nostalgiereisen ist, für den tut es vermutlich auch eine Schmalspurvariante. In Niederösterreich fährt der „Reblaus Express“, eine Verbindung zwischen Wein- und Waldviertel. Die nostalgische Erlebnisbahn pendelt auf 40 Kilometern zwischen den sonnenverwöhnten Retzer Weingärten und den stillen Wäldern und Teichen des Waldviertels. Mit 17 Euro ist man da pro Kopf und Nase mit dabei.

Tschüss, Terminkalender!

Endlich wieder selbst über die eigene Zeit entscheiden. Eines nach dem anderen statt „Multitasking“. Die hektische Zeit, der Termindruck dank digitaler Technik und die permanente Zeitnot haben ein kollektives Problem geschaffen. Um wieder zu sich selbst und die eigene Geschwindigkeit zurückzufinden, hilft nur das eine: Auf die Bremse steigen. Ein paar Gänge runterschalten. Und das Ganze – warum nicht – mit einem Hauch von Nostalgie. Schreibt man dann noch eine Postkarte statt einer WhatsApp-Nachricht aus seinem Urlaub, ist das Retro-Feeling perfekt.

Portrait

Rosa Vogel

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