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Kleine Dosis, große Wirkung

Der Wien Tourismus wirbt mit bunten Pillen, die einen wilden Trip in Wiener Manier versprechen. Internationale Medien berichten über die Aufreger-Kampagne. FaktuM hat die Hintergründe.

14.06.2024 12:48
Redaktion
© Lukas Thüringer, Vienna Tourist Board/Hermann Höger

Staubpartikel von Klimt-Gemälden, Schallwellen der Wiener Symphoniker und abgefüllter Schweiß von Lipizzaner-Hengsten – alles mikrodosiert zur unkomplizierten Einnahme in Pillenform. »What the fuck?!« und »Geile Kampagne!« sind nur zwei Reaktionen auf die Wien-Werbung, die vom 2. bis 16. April im angloamerikanischen Raum zu sehen war und für ordentliches Medienecho (u. a. Süddeutsche Zeitung, La Stampa in Italien, TravelDailyNews in UK und Ads of the World in den USA) gesorgt hat. 

Polarisierender Wiederholungstäter 

Es ist nicht das erste Mal, dass Wien Tourismus mit unkonventionellen Ideen für Furore sorgt. Im Jahr 2021 wurde über die Erotik-Social-Media-Plattform Only Fans das kunsthistorische Erbe von Klimt, Rubens und Schiele beworben. Hintergrund: Nudistische Kunstwerke wurden von den klassischen Social-Media-Netzwerken wie Instagram und Facebook als pornographischer Inhalt deklariert und damit zensiert. Der mediale Aufschrei war perfekt: CNN, die Washington Post und sogar US-Talker Stephen Colbert in seiner Late Night Show haben über die Kunstwerke auf Only Fans berichtet. Nach über 3.000 medialen Erwähnungen erfolgte der Ritterschlag: Die Kampagne wurde mit dem begehrten Cannes-Löwen in Gold ausgezeichnet – die prestigeträchtigste von insgesamt über 40 internationalen Auszeichnungen. »Ich kenne auch den Berliner und Hamburger Tourismusverband, aber Wien schlägt alles. Seit Norbert Kettner das Ruder übernommen hat, läuft es einfach super und das moderne Wien bekommt extrem viel Presse. Gleichzeitig sind wir nach wie vor als History-Stadt in den Köpfen der Leute«, so Hotelier-Marketer Roland Eggenhofer vom Hotel Motto. Genau dieser Spagat zwischen Moderne und Geschichte ist auch Wien Tourismus wichtig. »Es geht nicht nur darum, Aufmerksamkeit zu generieren, sondern der Wiener DNA Rechnung zu tragen und die Markeninhalte – Kunst, Kultur und imperiales Erbe – einem kaufkräftigen sowie kulturinteressierten Publikum zu vermitteln«, so Marie-Therese Tropsch, stellvertretende Unternehmenssprecherin von Wien Tourismus. 

Mutig dem Klischee trotzen

Die spitze Zielgruppe der lukrativen Personas wird laut dem Wiener Kreativen Florian Kozak mit den durchaus überraschenden und teils gewöhnungsbedürftigen Kampagnen von Wien Tourismus perfekt angesprochen. »Als Ur-Wiener stellt man sich grundsätzlich mal die Frage, was der Pillen-Spot darstellen soll und ob Wien wirklich als Droge verkauft werden soll. Professionell betrachtet muss der Köder allerdings dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. In der heutigen Welt, in der man um Aufmerksamkeit kämpfen muss, ist der Fisch aber auch erst mal hinter dem Ofen hervorzuholen. Es gibt klassische Destinationskampagnen, die ohne Ecken und Kanten ein breites Publikum ansprechen. Es wird mit schönen Bildern und einer feinen Prise Klischee gespielt. Ohne entsprechendes Budget wirst du damit nicht viel Aufmerksamkeit erlangen. Kampagnen rund um Only Fans und Pillen-Trips ecken an und die Menschen reiben sich daran. Sie werden zum Gesprächsthema. Von daher: Aufgabe erfüllt«, so der Geschäftsführer von Johnny Be Good. Auf Nachfrage bei Wien Tourismus, wie die Idee ursprünglich bei den Partnerbetrieben, die im Spot erwähnt werden, angekommen ist und ob man keine Bedenken hatte mit dem Pillenspiel vor dem Hintergrund der Opioid-Krise in den USA, antwortet Tropsch: »Die Idee wurde durchaus als ›edgy‹ wahrgenommen. Da wir aber den Qualitätsansprüchen unserer Partner genüge getan haben und ihnen bewusst war, dass wir mit unkonventionellen Ideen mutige Wege beschreiten, um Wien als Premiumdestination hervorzuheben, war die Erwartungshaltung durchwegs positiv.« 

Passgenaue Marktkommunikation

Dass gerade die USA und Großbritannien mit der Thematik »Microdosing« bespielt wurden, ist übrigens kein Zufall. Einerseits sind die beiden Länder – hinter Italien und Polen – die wachstumsstärksten Märkte für die Bundeshauptstadt und andererseits stellt Microdosing einen aktuellen Trend im angloamerikanischen Raum dar. Anders als bei illegalen Drogen geht es nicht um Rausch und psychedelische Wahnvorstellungen, sondern um das bewusste Erwirken von Kreativität, Glück und Konzentration. Dies wurde auch mit Agenturen vor Ort gezielt abgestimmt, um kommunikativ keinen Schuss nach hinten zu riskieren. Zusätzlich wurde auf der Kampagnen-Landing-Page auch ein Hinweis veröffentlicht, der eine deutliche Abgrenzung von Drogenkonsum und illegalen Substanzen beinhaltet, um jedweder etwaig aufkommenden Missverständlichkeit vorzubeugen. Trotz des Erfolgs der Kampagne (die Messung erfolgt in Medienclippings, da andere Kennzahlen wie bspw. Übernachtungen keiner dezidierten Werbemaßnahme zugeordnet werden können), ist aktuell keine Wiederholung geplant. Generell werden 2024 zwölf internationale Herkunftsmärkte aktiv bearbeitet: Deutschland, Großbritannien, Spanien, Frankreich, die Schweiz, Italien, die USA, Kanada, die arabischen Länder, China, Japan und Südkorea. Man darf also gespannt sein, welche kommunikativen Kniffe folgen, um erneut gezieltes Medienecho zu produzieren. Wenn man Florian Kozak fragt, hat er schon eine Idee, die sehr gut für das österreichische Publikum – immerhin auf Platz 2 der nächtigungsstärksten Nationen in Wien – passen würde: »Stellen wir uns den grantigen Wiener Kellner, Taxler, U-Bahn-Fahrer und Würstelstandbetreiber vor. Und plötzlich hauchen sie einem überraschenderweise Wiener Freundlichkeiten ins Ohr. Gänsehaut!« Charmanter könnte der Wiener Grant wahrscheinlich nicht inszeniert werden. Instrumentalisiert übrigens auch nicht.

Portrait

Philipp Schützl

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