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Flucht vor der großen Hitze

Wenn‘s überall heiß wird, dann ist es in den Alpen und in Nordeuropa kühler. Wie der Zentraleuropäische Tourismus in den Alpen von der sogenannten Coolcation profitieren könnte.

14.06.2024 13:17
Redaktion
© Österreich Werbung/Marco Rossi

Es hat 40 Grad im Schatten. Der Drink droht zu verdunsten, ehe er getrunken wird. Da macht Urlaub keinen Spaß mehr. Die Klimaerwärmung macht Sommerurlaub in südlichen Destinationen teilweise unerträglich. Coolcation scheint die Lösung dafür zu sein. Reiseanbieter reagieren bereits auf den Trend und bieten Urlaube in kühleren, nördlicheren Gebieten als Alternative zu den Hitzedestinationen an. Aber ist das Ganze nur eine geniale Marketingaktion oder sind die Klimaveränderungen wirklich schon so dramatisch in Europa? Und sind damit nicht auch Chancen für den zentraleuropäischen Tourismus bzw. insbesondere den österreichischen Tourismus verbunden?

Marc Olefs ist Leiter des Departments für Klima-Folgen-Forschung am GeoSphere Austria (früher ZAMG und GBA). Schon in seiner Kindheit entwickelte er eine besondere Verbundenheit  zur Natur, den Wolken, der Atmosphäre und allen damit zusammenhängenden Prozessen. Er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. 

Europa erwärmt sich am stärksten

Zur Frage der Klimaentwicklung erklärt er, dass eine der markantesten Änderungen der letzten Jahrzehnte die Erwärmung in großen Teilen von Europa ist. Diese Region der Erde hat sich seit den 1980er Jahren weltweit am stärksten erwärmt, und damit einhergehend für mehr Extremwetter, wie eine Zunahme der Hitzebelastung und Intensivierung von kurzzeitigen Starkregenfällen gesorgt. Der Grund für die stärkere Erwärmung in Europa ist mehr bodennahe Sonnenstrahlung aufgrund abnehmender Luftverschmutzung (weniger Aerosole) und Bewölkung (letzteres ist wiederum eine Folge der Erderwärmung selbst). Steigende Treibhausgaskonzentrationen sorgen dann unabhängig dafür, dass diese Wärme schlechter ins Weltall entweichen kann. Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind die südlichen Urlaubsländer in Europa. Dort nehmen insbesondere Hitze und Trockenheit zu. Damit verbundene Folgeerscheinungen sind z.B. erhöhte Hitzesterblichkeit, geringere Produktivität, Probleme in der Ernährungssicherheit (Landwirtschaft), ein größeres Risiko für Waldbrände (sogenannte Feuerwetter) und eine geringere Wasserverfügbarkeit. Waldbrände und Wasserverfügbarkeit bereiten dem Tourismus besondere Probleme. 

Übergangszeiten werden sich künftig mehr für Wandern und Radfahren eignen // © Gert Perauer

Klimamodelle zeigen, dass der mediterrane Raum beim derzeitigen Stand (2024) der globalen Klimaschutzbemühungen in den kommenden 75 Jahren im Vergleich zu heute um weitere 3 °C, vielleicht sogar 4 °C wärmer und im Sommerhalbjahr um ca. 25 % trockener wird. Das bedeutet circa acht Tage mehr mit Tageshöchstwerten jenseits 40 °C und weitere rund zwölf Tage längere Trockenperioden im Vergleich zu heute. Diese Zunahmen würden um 50 % bis 75 % geringer ausfallen, wenn wir die globale Erwärmung auf 1.5 °C im Vergleich zu vorindustrieller Zeit begrenzten. Derzeit stehen wir bei +1.2 °C. Aber wie sieht die Lage in Österreich aus ? 

Willkommene Alternative zum heißen Mittelmeerraum

Im Sommerhalbjahr könnten vor allem die mittleren und höheren alpinen Lagen eine willkommene Alternative zum immer heißeren Mittelmeerraum darstellen, auch weil sich hier temperaturbedingt allergene Pflanzen- und Tierarten weniger stark ausbreiten werden. Die Übergangsjahreszeiten werden zudem immer geeigneter für Outdoorsportarten wie Wandern und Radfahren. Allerdings werden sich kleinräumige Unwetter mit der Erwärmung weiter intensivieren. Dies erfordert im Urlaub eine täglich flexiblere Planung – vor allem im hochalpinen Gelände, wo tdie Gefahr durch tauenden Permafrost und stärkere Unwetter die Gefahren steigen.

Und wie verhält es sich mit den Meldungen in Medien, wonach es durch die Klimaerwärmung in Europa kälter wird? Die Ozeane könnten nämlich durch die Polschmelze mehr Süßwasser enthalten, was den Golfstrom beeinflussen dürfte.  Laut Olefs ist noch unklar, ob und vor allem wann das passieren könnte. Wenn es allerdings eintritt, dann wären die Folgen für Europa dramatisch: Die Winter könnten deutlich kälter, die Sommer nur geringfügig weniger heiß werden. Der Niederschlag könnte abnehmen, ein globales Problem der Ernährungssicherheit entstehen. Wir müssten daher diese mögliche Entwicklung ernst nehmen, meint er, und uns mit den möglichen Folgen auseinandersetzen, auch wenn wir den Fokus auf die aktuell gesicherten Folgen legen sollten.

24,36 Mio. Nächtigungen deutscher Gäste

Den heimischen Tourismusbetrieben empfiehlt Olefs insbesondere alle Komponenten des touristischen Angebots (Mobilität, Beherbergung, Ernährung, Attraktionen) zu nutzen, um dem Gast einen klimafreundlichen, aber attraktiven „Paris-Lifestyle“ zu zeigen, der mit nach Hause genommen und dort weitergelebt werden kann. Also in Summe weit über die Reduktion des eigenen Fußabdrucks hinaus, den eigenen Handabdruck zu vergrößern. 

Aber wie sehen das die Touristiker? Für Manfred Katzenschlager, den Geschäftsführer der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der WKO, hat sich die Branche von Corona gut erholt und im vergangenen Winter sogar das Niveau des Rekordwinters 2018/19 erreicht. Dabei kommen etwa drei Viertel der Nächtigungen von ausländischen Gästen. 24,36 Mio. Nächtigungen entfallen dabei auf deutsche Gäste, die damit knapp die Hälfte der Gäste aus dem Ausland stellen.

Manfred Katzenschlager will Coolcation mit der Sommerfrische verbinden // © Stephan Huger I Studio Huger

Und auch für den Sommer ist die Buchungslage aus heutiger Sicht gut. Offensichtlich haben die Gäste wieder mehr Vertrauen, denn es sind verstärkt Fix-Buchungen schon früher zu verzeichnen. 

Zu kämpfen hat die Branche allerdings mit  Arbeitskräftemangel und steigenden Kosten. Gerade die Letzteren schmälern das Ergebnis trotz guter Buchungszahlen. Und bei dem Personalmangel werden neben Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland auch welche aus dem asiatischen Raum und Südamerika zum Einsatz kommen.

Laut Katzenschlager ist das Wort Coolcation im österreichischen Marketing noch nicht richtig angekommen. Das Wording werde sich allerdings sicher rasch verbreiten, wobei das gute alte Wort „Sommerfrische“ auch seinen Reiz und gerade in Österreich große Tradition hat. Und Österreich biete alles, was man von einer Coolcation Destination erwartet. Gäste könnten den durch den Klimawandel hervorgerufenen hohen Temperaturen in den südlichen Urlaubsländern samt der Risikofaktoren (Waldbrände, Stürme, Quallen etc.) entfliehen und fänden in Österreich wunderschöne Seen und Berge. Hier könne man die Hitze meiden und die Sonne auch in angenehmen Temperaturen genießen. Und man könne dabei schwimmen, mountainbiken, wandern oder sonstigen sportlichen Aktivitäten nachgehen. Nicht zu vergessen sei das vielfältige kulturelle und kulinarische Angebot, das Österreich zu bieten habe.

Österreich (noch) keine Coolcation Destination

Es sei daher schwer zu verstehen, dass bei Suchabfragen unter Coolcation Destinationen Österreich nicht angeführt wird. Hier finden sich aktuell beispielsweise Destinationen im skandinavischen Raum und sogar Deutschland, obwohl Österreich eigentlich die besseren Attribute aufweise.

Wie sieht das Astrid Steharnig-Staudinger? Seit letztem Jahr ist sie die Geschäftsführerin der Österreich Werbung und kann schon auf einige Marketingaktivitäten mit internationaler Beachtung (z.B. Austria’s Youngest Ski Instructor, ChatSkiPT oder das Plätten-Taxi in Venedig) verweisen. 

Abkühlung sei nur ein Teilaspekt, mit dem der österreichische Tourismus werben könne, meint Astrid Steharnig-Staudinger // © Pamela Rußmann

Für sie sind Nachhaltigkeit und Digitalisierung wichtige Faktoren für die Branche. Gerade die Digitalisierung im Tourismus habe sich in den letzten Jahren enorm beschleunigt: Digitale Buchungsplattformen, Künstliche Intelligenz oder Virtual Reality prägten die Branche und würden zukünftig wohl noch wichtiger werden.

Natürlich hat auch der Klimawandel eine Auswirkung auf unser Gebiet als Urlaubsdestination. Steharnig-Staudinger spricht aber nur ungern von „Chancen“ durch den Klimawandel, da wir ja auch Betroffene seien – sei es bei Extremwettern im Sommer oder bei längeren Trockenphasen im Winter. Und sie möchte hier kein dystopisches Bild zeichnen. Aber klarerweise sind für viele Menschen Temperaturen über 35 Grad für eine längere Zeit nicht angenehm. Doch in den höheren Lagen Österreichs oder in den Seegegenden gebe es Möglichkeiten zur Abkühlung – wie eben auch in Skandinavien oder in anderen nordeuropäischen Ländern.

Eine Studie der EU-Kommission aus dem vergangenen Jahr bekräftigt, dass die skandinavischen Länder und die Alpenregionen von extremen Hitzewellen im Hochsommer in den mediterranen Ländern profitieren könnten.

Allerdings werde die Österreich Werbung den Faktor „Abkühlung“ als Einzelaspekt für Urlaub in Österreich nicht bewerben. Denn Urlaub in Österreich biete viel mehr, beispielsweise Kulinarik, Entspannung und natürlich die atemberaubende Landschaft. Das heißt, die Möglichkeit der sommerlichen Abkühlung fließe in die Kommunikation ein, sei aber nur Teil des Ganzen.

Mit touristischen Megatrends auseinandersetzen

Abgesehen von den klimatischen Veränderungen muss man sich auch mit den Megatrends im Tourismus auseinandergesetzt. Von ganz wesentlicher Bedeutung sind etwa Globalisierung, Neo-Ökologie, Konnektivität, New Work und Mobilität. Diese Aspekte haben Einfluss darauf, wie der Gast von morgen seine Reise gestalten will.

Österreich hat zwar kein Meer, kann aber mit Seen zur Abkühlung aufwarten // © Gert Perauer

Coolcation ist jedenfalls gekommen, um zu bleiben. Experten und Studien bestätigen die Entwicklung durch den Klimawandel und die Auswirkung auf den Tourismus. Daher stehen die Alpenländer vor einer großartigen Gelegenheit, vom Coolcation-Urlaubstrend zu profitieren. Durch die Anpassung und Erweiterung ihres touristischen Angebots können sie neue Zielgruppen anziehen, die wirtschaftliche Entwicklung fördern und nachhaltigen Tourismus stärken. Die natürlichen Vorzüge der Alpen, kombiniert mit innovativen und umweltfreundlichen Ansätzen, können diese Regionen zu bevorzugten Reisezielen für Coolcation-Reisende machen. Die Herausforderung besteht darin, diese Potenziale gezielt zu nutzen und gleichzeitig die Balance zwischen touristischem Wachstum und dem Erhalt der natürlichen Ressourcen zu wahren.

Portrait

Harald Fleischer

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